Review: ANNA KARENINA - Liebe und Illusion





Fakten:
Groß Britannien, Frankreich. 2012. Regie: Joe Wright. Buch: Tom Stoppard, Lew Tolstoi (Vorlage). Mit: Keira Knightley, Aaron Johnson, Jude Law, Kelly McDonald, Matthew Macfadyen, Olivia Williams, Ruth Wilson, Emily Watson, Damhnall Gleeson, Holliday Grainger, Bill Skarsgard, Michelle Dockney, Shirley Henderson, Cara Delevingne Alexandra Roach, Here Hilmar u.a. Länge: 130 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story‘:
Die Geschichte dreier russischer Adelsfamilien im  19. Jahrhundert. Gesellschaftlich angesehen aber nicht verschont von Krisen und Kummer, heraufbeschworen durch Liebschaften und Missgunst.





Meinung:
Es erweist sich schon als äußerst mühsames Unterfangen, Joe Wrights „Anna Karenina“-Adaption in angemessene Worte zu fassen, denn eigentlich ist seine Tolstoi-Verfilmung nominell mit Sicherheit kein schlechter Film, vor allem beweist der britische Regisseur viel Mut in seiner Inszenierung und lässt die Schauplätze zum symbolischen Theater der adligen Verlogenheit und universellen Bedürfnisse werden. Natürlich ist das weitentfernt von der reduzierten Radikalität eines „Dogville“ und doch sind die bühnenhafte Permutationen und die flüssigen Verschiebungen der Kulissen mehr als reizvoll. Und genau in diesen Aspekten lässt „Anna Karenina“ keinerlei Wünsche offen. Die prächtigen Kostüme, das historische Ambiente, die klassische Untermalung und die gesamte Szenerie sind sowohl preisverdächtig als auch in ihrer partikulären Positionierung einfach eine üppige Wucht.



"Schiri, wir wissen wo dein Auto steht!"
Wenn wir uns nun einmal daran zurückerinnern, was Leo Tolstoi in seiner weltberühmten Romanvorlage aussagen wollte, welche Intention er beim Schreiben verfolgte, dann treffen wir auf die Worte Liebe und Illusion. „Anna Karenina“ steht für die desillusionierende Devastation der romantischen Hingabe, am Ende stürzen sämtliche Fassaden, Obsession, Verzweiflung und Eifersucht verschmelzen und was bleibt ist die Explikation der gesellschaftlichen Künstlichkeit. Joe Wright greift diese bedeutsamen Gliederungspunkte ebenfalls auf, wir tauchen ein in eine Geschichte, die von Trugbildern, Sehnsüchten und der brodelnden Konventionsflucht bestimmt ist. Anna Karenina ist in einer monotonen Ehe gefangen, sie sehnt sich nach Leidenschaft, nach Freiheit und ihr bourgeoises Dasein, in dem nur die gute Miene zum „bösen“ Spiel aufrechterhalten werden soll, fehlt der schwärmerische Anstrich, den sie schließlich im Graf Wronski findet und sich dadurch selber zur gesellschaftliche Geächteten degradiert.


Man muss Joe Wright auch dafür loben, dass er den Charakter Anna Karenina zu keiner Zeit in den allesüberschattenden Fokus stellt, wie schon in Tolstois-Vorlage sind es die Beziehungen zwischen Anna und Wronski, Dolly und Stepan und Kitty und Konstatin, die immer wieder eingestreut werden und so gleichermaßen Erwähnung finden. Wenn wir als Zuschauer dann mit allen Beteiligten vertraut sind, wir verstanden haben, dass Anna in ihrer Theaterwelt nur eine der wenigsten Personen ist, die dem verzogenen Lügenkonstrukt dieser russischen Gesellschaft im 19. Jahrhundert entfliehen will und vor allem Kitty und Konstantin den deutlichen Gegenpart darstellen, gerade auch dadurch, dass ihre Szenen mit der russischen Natur verknüpft werden, die der fessellosen Allegorik problemlos in die Hände spielt, dann bleibt unter der opulenten Schale nicht viel übrig.



Geliebt und gehasst: Keira Kni...äh Anna
Die Bühne als Projektionsfläche für das verstellte Schauspiel der Schönen und Reichen, der Adligen und Mächtigen. Kleider machen Leute, Geld aber nicht glücklich. So viel ist klar. Wenn wir tiefer graben, uns durch die feudale Äußerlichkeit gekämpft haben und die informale Bedeutung ergreifen wollen, stoßen wir auf Wrights unterkühlte Distanz. Für eine gefühlvolle Ergreifung seitens der Inszenierung ist hier keinen Platz, was dementsprechend auch jeden emotionalen Zugang zum Geschehen verweigert, wir stoßen auf das wahre Problem von „Anna Karenina“: Die allgemeine Oberflächlichkeit. Alles ist ziseliert bis in die silbernen Kleiderbügel und wenn Wright die vielfältigen Empfindungen konträr zerbrechen lässt, dann sehen wir nur dabei zu, aber wir fühlen nichts – Wright hat sein Ziel erreicht. Anna Karenina begeht Ehebruch, schlimm ist diese Tatsache nicht, es ist viel schlimmer, dass sie ihre Zuneigung gegenüber Wronski in aller Öffentlichkeit zur Schau gestellt hat. Dabei ist diese Thematik durchaus epochenübergreifend und wenn wir einen solchen Vorfall in die Gegenwart verlegen, in einer Zeit, in der es keine zwischenmenschliche Geheimnisse gibt und Gerüchte sich wie Lauffeuer verbreiten, hätte sich „Anna Karenina“ als Sinnbild für jeden Periode verstehen lassen.


Der hinderliche Abstand ist der ausschlaggebende Punkt, der den Zuschauer nicht nur zum Beobachter macht, sondern auch zum Forscher. Wir wollen in die reichhaltige Erzählung eintauchen, wollen die Charakter-Tiefe ausloten, die Ambivalenz erfahren, doch wir stoßen nur auf den unsichtbaren Widerstand, der sich auch in Keira Knightleys manierierter Anstrengung reflektiert, die weder Identifikationsfläche bietet noch den Zuschauer um den Finger wickeln kann. Es fehlt ihr schlichtweg an Ausstrahlung, an Leinwandpräsenz und ihre weibisch-aufmüpfige Performance ist entsetzlich kontraproduktiv. Wirklich überzeugend sind im Cast eigentlich nur Jude Law und Matthew Macfadyden, die das Beste aus ihren Rollen holen, aber zu wenig Screentime bekommen, um das Ruder noch irgendwie rumzureißen. Der Abspann rollt, die Gedanken versuchen sich sammeln, doch es gibt letztlich nichts, was nachdenklich stimmen könnte. Äußerlich ansprechend angerichtet, innen maximal lauwarm.

5 von 10

von souli

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen