Review: 12 YEARS A SLAVE – Freiheit ist das Einzige, was zählt



Fakten:
12 Years a Slave
USA. 2013.
Regie: Steve McQueen. Buch: John Ridley, Solomon Northup (Vorlage). Mit: Chiwetel Ejiofor, Michael Fassbender, Paul Dano, Benedict Cumberbatch, Brad Pitt, Paul Giamatti, Lupita Nyong’o, Sarah Paulson, Scoot McNairy, Kelsey Scótt, Alfre Woodward, Michael K. Williams, Quvenzhané Wallis, Bryan Bratt u.a. Länge: 134 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Ab 16. März 2014 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story;
1841. Der afroamerikanische Geigenspieler Solomon ist ein freier Mann aus New York, der eine Frau und zwei Kinder hat. Von zwei Männer erhält er das Angebot für einen Auftritt in Washington. Dies erweist sich als eine perfide Falle. Die Männer nehmen Solomon gefangen, verschleppe ihn nach New Orleans und verkaufen ihn als Sklave an einen Plantagenbesitzer.





Meinung:
Steve McQueen hat den Status eines Rohdiamanten in seinem Fach, den es nach und nach zu schleifen gilt, leichtfüßig übersprungen und mit seinem schonungslosen Meisterwerk „Shame“ bewiesen, dass sein erster Spielfilm „Hunger“ keinesfalls nur durch bloßes Glück in der Umsetzung derartig gelingen konnte. Das Kino des Briten zeichnet sich in seinen stärksten Phasen durch die konzentrierte Stille aus, die ihre Charaktere vollständig aufsaugt und ihr glühendes Innenleben ohne jede Verfälschung an die Oberfläche kehrt. Es sind intensive Momente, feine Anekdoten, die in ihrer kompromisslosen Dynamik gänzlich ohne Worte verharren und allein durch die furiose Ausstrahlung der zentrierten Augen funktionieren. Kaum jemand von der neuen, hoffnungsvollen Garde, zu der sich gewiss auch Nicolas Winding Refn, Xavier Dolan und Tomas Alfredson zählen dürfen, kommt dem altbackenen Sprichwort „Augen sind der Spiegel zur Seele“ in seiner metaphorischen, künstlerischen Präzision näher, als McQueen es in seiner ganz persönlichen Grafik tut.



Mit „12 Years a Slave“ entzieht sich Steve McQueen nun jener dechiffrierenden Subtilität, die sowohl „Hunger“ als auch „Shame“ so unglaublich nachhaltig wirkend ließen und eignet sich dabei eine durchaus massenkompatible Gangart an, die sich nicht mehr nur in elitären Arthouse-Gefilden erkenntlich zeigt, sondern die großen Bühnen dieser Welt aufsucht und gewiss finden wird. Nicht umsonst wird „12 Years a Slave“ als heißester Kandidat im kommenden Oscar-Renner gehandelt, was nun ja bekanntlich nicht unbedingt für die Qualität eines Filmes sprechen muss. Erinnern wir uns nur an das horrende letzte Jahr, in dem Ben Affleck den Award für „Argo“ entgegennehmen durfte, Paul Thomas Andersons „The Master“ hingegen in der Kategorie ‚Bester Film‘ aber bezeichnenderweise nicht einmal nominiert wurde. Aber zum Glück ist Steve McQueen kein Ben Affleck und „12 Years a Slave“ ganz im Gegensatz zu „Argo“ – auch wenn der direkte Vergleich gar abwegig scheint – ein ohne Frage guter Film geworden, obwohl die ebenso zweifelsohne entfachte Enttäuschung über Steve McQueens neues Werk nicht wegzureden ist.



Es ist ungemein erfreulich, dass sich Steve McQueen auch mit „12 Years a Slave“ – und dieser Film schreit ja geradezu nach der Liebe der Allgemeinheit – nicht durch den Fleischwolf der Traumfabrik hat drehen lassen und sich charakteristischen Direktiven nicht zu Gunsten des Publikums entzieht oder auch entziehen lässt. „12 Years a Slave“ besitzt in seiner unbeschönigten Darstellung der damaligen Verhältnisse auf den Plantagen eine Härte, vor der andere Projekte dieser Größenanordnung sicherlich zurückgeschreckt wären und so nur die halbe Wahrheit offenbart hätten. McQueens innig geliebte Plansequenzen kommen abermals zum Einsatz und fristen keineswegs ein tumbes Dasein als sadistischer Voyeurismus, sondern dokumentieren emphatisch und lassen den Zuschauer so erfahren was es heißt, in eine Welt gezogen zu werden, die sich jeder Menschenwürde von Grund auf entledigt hat. McQueen und sein Autor John Ridley aber wissen, dass es allein nicht reichen kann, stupide Machtverhältnisse zu ästhetisieren, wie es Quentin Tarantino in seinem thematisch unreflektierten „Django Unchained“ noch getan hat, „12 Years a Slave“ hingegen nimmt seine Vorlage ernst und bohrt tiefer.

 
Unvergesslich scheinen da nämlich nicht nur die qualvollen Augenblicke, in denen Solomon (Chiwetel Ejiofor) seine eigene Identität als freier Mann verleugnen soll und bei renitenten Widerworten so lange auf seinen Rücken eingeschlagen wird, bis er endlich gehorcht. Sondern die Szene, in der Solomon von dem gedemütigten Vorarbeiter Tibeats (Paul Dano) mit Hilfe von zwei weiteren Handlangern aufgeknüpft wird und schließlich mit den Zehenspitzen den rettenden Kontakt zum Boden sucht. Die Kamera hält dabei nicht nur den um sein Leben kämpfenden Solomon statisch fest, sie rückt ebenso die weiteren Sklaven im Hintergrund in den Fokus, die gar phlegmatisch ihrer Arbeit nachgehen, bis sich eine der Sklavinnen schließlich doch dazu erbarmen kann, Solomon ein Glas Wasser in den Mund zu kippen. Diese Minuten stehen sinnbildlich für die Mechanismen und Konditionen in diesem schwarzen Kapitel Amerikas und verknüpfen – wie auch im Rest der Laufzeit – Todesängste, Lethargie und existentiellen Opportunismus. Solomon nämlich weiß wie es ist, ein Leben in gutsituierter Freiheit zu führen, während den meisten anderen Sklaven ein solches Glück nie vergönnt war.



Dass es in dieser Zeit und den jeweiligen Plantagen nicht nur Bestien unter den Mastern gab, wird ebenso gezeigt, wie die gewalttätige Willkür anderer Sklavenhalter, genau wie „12 Years a Slave“ verdeutlicht, dass die Sklaven untereinander nicht immer füreinander eingestanden haben, sondern vorerst ihre eigene Haut retten möchten, ob nun mit den Vorzügen des eigenen Körpers oder der zwanghaften Teilnahmslosigkeit. Solomon kann und will dieses geknechtete Dasein nicht als seine neue Wirklichkeit akzeptieren, er will nicht nur einfach überleben, sondern sein altes Leben im Schoß der Familie zurück. Was ihm bleibt ist eben jener unauffällige Opportunismus; das Beipflichten und Raushalten, das Gehorchen und Schweigen. Nur gegen ein tyrannisches Monstrum wie Edwin Epps (Michael Fassbender) hilft der Rückzug, wie noch beim sich selbst belügend Möchtegern-Humanisten William Ford (Benedict Cumberbatch) rein gar nichts. Wenn sich dann die Schlüsselfigur Brass (Brad Pitt) bemerkbar macht, ist für Solomon wieder ein Licht am Ende der Dunkelheit erkennbar, Brass‘ Stilisierung zum heilbringenden Samariter darf aber belächelt werden und raubt dann doch ein stückweit die erpichte Authentizität.


Problematisch wird es, wenn sich Steve McQueens Ägide mit weiteren formalen Faktoren verheddert. Damit ist vor allem Hans Zimmers übertrieben dramatischer und gerne auch mechanisch hämmernder Soundtrack gemeint, der sich immer in einem pejorativen Konflikt mit McQueens Auffassung einen Film zu erzählen befindet. Weiß der versierte Regisseur nämlich, dass er seinem  Publikum mit dem Einzelschicksal des Solomon nicht zu nah an sich zerren darf und bewahrt eine nüchterne Distanz zum Geschehen, suggeriert Zimmers Score einen vollkommen konträren Eindruck dessen. Als wäre McQueen nicht in der Lage, durch seine inszenatorische Kompetenz Emotionen zu schüren, setzt die Musik auf duselige Manipulation, um auch dem Zuschauer in der hintersten Reihe darzulegen, dass es gerade doch um Gefühle, welcher Art auch immer, auf der Leinwand geht. „12 Years a Slave“ hätte es besser getan, auf eine musikalische Untermalung gänzlich zu verzichten, weil sie von vornherein nicht die audiovisuelle Symbiose bezwecken und der Narration förderlich zutragen kann, wie McQueen es in „Shame“ noch tat. Lob hat „12 Years a Slave“ für seine realistische Ambiguität allemal verdient, die generellen Jubelchöre aber sind doch zu viel des Guten.


6 von 10 Peitschenhieben


von souli

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