DIE IRRE HELDENTOUR DES BILLY LYNN – Große Show, wenig Emotionen


Fakten:
Die irre Heldentour des Billy Lynn (Billy Lynn's Long Halftime Walk)
USA. 2016. Regie: Ang Lee. Buch: Jean-Christophe Castelli, Simon Beaufoy, Ben Fountain (Vorlage). Mit: Joe Alwyn, Garrett Hedlund, Vin Diesel, Steve Martin, Chris Tucker, Kristen Stewart, Arturo Castro, Mason Lee, Astro, Beau Knapp, Ismael Cruz Córdova, Barney Harris, Makenzie Leigh, Ben Platt, Bruce McKinnon, Deirdre Lovejoy u.a. Länge: ca. 110 Minuten. FSK: freigegeben ab 6 Jahren. Ab 2. Februar 2017 im Kino.


Story:
Nach einem schrecklichen Gefecht im Irakkrieg werden der 19-jährige Soldat Billy Lynn und seine Kameraden als Helden gefeiert und auf eine landesweite Siegestour durch die USA geschickt. Doch nach und nach geraten die wahren Geschehnisse am Golf ans Licht und die Enthüllung findet ihren Höhepunkt während der spektakulären Halbzeit-Show eines Football-Spiels an Thanksgiving. Die amerikanische Feier-Euphorie ist meilenweit von der Realität des Krieges entfernt...




Kritik:
Zu Beginn des Jahres 2017 starten gleich zwei Kriegs- bzw. Antikriegsfilme in Deutschland, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Während Mel Gibsons "Hacksaw Ridge" seinen Protagonisten als Kriegshelden heroisiert, erschafft Ang Lee mit "Die irre Heldentour des Billy Lynn" (Billy Lynn's Long Halftime Walk) einen krassen Gegenentwurf dessen und stellt die Frage, ob es im Krieg überhaupt Helden geben kann. Doch gehen wir einen Schritt zurück. Der zweifach oscarprämierte Regisseur Ang Lee hat sich seit seiner Zeit in Amerika immer wieder uramerikanischen Themen, wie Superhelden, Cowboys oder auch Woodstock gewidmet. In seinen Filmen beweist Lee nicht nur ein tiefes Verständnis für die amerikanische Kultur, sondern reflektiert über diese auf eine Art und Weise, wie es wohl nur ein Außenstehender zu tun vermag. Seine Werke sind eben keine typischen Superhelden- oder Cowboyfilme, sie entwickeln sich über das eigentliche Genre hinaus und werden zu etwas neuem, etwas größerem. Angesichts dessen ist die Erwartung an einen Antikriegsfilm von Lee, insbesondere zu Zeiten von furchtbaren Machwerken wie "Hacksaw Ridge", immens hoch. Doch auch wenn man Lee die Risiken, die er bei diesem Film eingegangen ist positiv anrechnen muss, ist er leider an seinen Ambitionen und wohl auch der hohen Erwartungshaltung der Zuschauer gescheitert.


Aber widmen wir uns erst einer der größten Stärken des Films – der Inszenierung. Ang Lee hat schon mehrfach bewiesen, dass er auf dem Regiestuhl wahre Wunder vollbringen kann. Seien es die atemberaubenden Kampfsequenzen in "Tiger & Dragon", die emotionale Kraft von "Brokeback Mountain" oder die unnachahmliche Schönheit von "Life of Pi". All diese Filme verdanken Lee einen Großteil ihres Erfolgs. Billy Lynn reiht sich problemlos in diese Riege von inszenatorischen Meisterleistungen ein. Dabei sticht vor allem die Szene hervor, in der Billy und seine Kumpanen in der titelgebenden Halbzeitshow auftreten müssen. Lee hat hier zu jedem Zeitpunkt die volle Kontrolle über das was der Zuschauer sieht – oder in diesem Fall eben nicht sieht – um damit die größtmögliche Wirkung zu erzielen. Genau diese Szene wird auch am Ende des Jahres zu dem besten aus 2017 zählen. Doch ähnlich wie schon bei "Life of Pi" hatte der Regisseur die Ambition, die technischen Aspekte des Films auf eine neue Ebene zu bringen. Anstatt mit 24 fps (Bildern pro Sekunde) filmte er Billy Lynn mit sage und schreibe 120 fps. Damit erreicht der Film mehr als die doppelte Anzahl an Bildern pro Sekunde, die der bisherige Rekordhalter "Der Hobbit" mit seinen 48 fps erreicht hatte. Als Gründe für diese technische Neuerung nannte Lee, dass er eine noch eindringlichere und realistischere Kinoerfahrung erzeugen wolle. Glaubt man den Kollegen aus Übersee – und das muss man, denn der Film kann weltweit in nur 6 Kinos in 120 fps gezeigt werden und keines dieser Kinos befindet sich in Europa – stört diese neue Technik eher das Sehvergnügen, als es zu bereichern. Zuschauer bemängelten das flache 3D und den teilweise hyperrealistischen Charakter der Bilder, der einen immer wieder aus dem Geschehen reißt. Die 120fps waren also ein Risiko, welches sich nicht ausgezahlt hat und vom Großteil der Zuschauer ohnehin nicht wahrgenommen werden kann.


Mit seinen Castingentscheidungen ging Lee dann ein weiteres Risiko ein. Joe Alwyn wurde für den Film nur zwei Tage nach seinem Abschluss an der London Royal Central School of Speech and Drama gecastet. Ein junges und unverbrauchtes Gesicht als Hauptdarsteller eines so großen Films zu wählen, beweist Mut seitens der Verantwortlichen. Mut, der ich aber leider nur zum Teil auszahlt. Während Alwyn zwar eine schauspielerisch tolle und sehr nuancierte Leistung abliefert, fehlt es ihm leider an Charisma, um einen so schweren Film auf seinen Schultern zu tragen. Zu seinem Glück funktioniert aber die Dynamik zwischen ihm und den anderen jungen Soldaten so gut, dass sie ihm einen Teil der Last abnehmen können. Auch in weiteren Nebenrollen besticht der Film mit ungewöhnlichen Castingentscheidungen. Während Vin Diesel als Sympathieträger mit nur wenigen, dafür aber sehr prägnanten Szenen eine durchaus nachvollziehbare Wahl ist, muss man sich fragen, was Ang Lee dazu bewogen hat, Kristen Mouthbreather Stewart als Schwester von Billy in Erscheinung treten zu lassen. Sie erfüllt zwar mit Ach und Krach ihren Zweck, bringt aber nicht ansatzweise das emotionale Gewicht zur Rolle, das benötigt wird. Ultimativ bricht der Cast leider unter dem immensen Gewicht des Films zusammen. Beschreibend für diesen Zustand ist, dass gerade Antischauspieler Vin Diesel eine der emotionalsten Szenen des Films zu verdanken ist.


Doch auch wenn sich die Risiken nicht ausgezahlt haben, kann Billy Lynn doch noch ein guter Film sein, oder? Nun ja, hätte sich jemand anders dem Drehbuch an- und im Vergleich zum Roman von Ben Fountain einige Veränderungen vorgenommen, dann hätte Billy Lynn vielleicht trotz all seines verfehlten Potentials ein guter Film werden können.Leider versteht sich der oscarprämierte Autor Simon Beaufoy ("Slumdog Millionär") aber nicht darin, die emotionale Bandbreite des Stoffs auf die Seiten des Drehbuchs zu übertragen.Was am Ende bleibt ist ein Film mit viel Potential, der aber an seinen eigenen Ambitionen scheitert und dem eine essenzielle Zutat für ein gutes Drama fehlt – Emotion.

4,5 von 10 I Love Yous

von Tobias Bangemann

1 Kommentar:

  1. Also doch lieber "Hacksaw Ridge" trotz der überhöhten Heroisierung?

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