Review: BLOW UP – Weil wir nur das sehen, was wir sehen wollen.


Fakten:
Blow Up (Blowup)
GB/IT. 1966. Regie: Michelangelo Antonioni. Buch: Michelangelo Antonioni, Julio Cortaza, Tonino Guerra. Mit: David Hemmings, Vanessa Redgrave, Sarah Miles, John Castle, Veruschka von Lehndorff, Jane Birkin, Gillian Hills. Länge: 111 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD erhältlich.


Story:
Als der Photograph Thomas in einem Park Bilder von einem Pärchen macht, wird er entdeckt. Die Frau verfolgt ihn bis zu seinem Atelier, wo sie um jeden Preis den Film haben will, auf dem sie verewigt ist. Thomas gibt ihr einen anderen Film und entdeckt auf den Bildern Verdächtiges: Er glaubt, einem Mord auf die Spur gekommen zu sein.




Meinung:
Michelangelo Antonioni gilt als einer der zentralen Regisseure der europäischen Filmgeschichte. Seine Werke hatten nachweislich großen Einfluss auf die Entwicklung der Bildästhetik und unter den italienischen Filmschaffenden nimmt er neben Fellini eine Sonderstellung ein. Obgleich er zahlreiche bewegende und tiefgehende Filme geschaffen hat, kann keiner davon seinen Meilenstein „Blow Up“ das Wasser reichen. Die Geschichte rund um einen englischen Modefotografen, die Brian de Palma später auch gekonnt nach Hollywood gebracht hat, zählt zu den vielschichtigsten der kompletten Filmgeschichte. Ein Film, der sich in seinem flüchtigen Ideenreichtum gerne einer eindeutigen Interpretation entzieht.


Ein Blick hinter die Kulissen
In seiner Deutung bleibt „Blow Up“ sehr ambivalent und viele Facetten erschließen sich erst beim wiederholten Schauen des Meisterwerks. Gerade nach der ersten Sichtung dürfte das viele Zuschauer verunsichern, denn Antonionis bester Film fordert einiges, belohnt im Gegenzug aber auch im selben Maße. Wer also keinen Zugang findet oder dem Gefühl erliegt die Gedankenwelt des Films nicht hinreichend greifen zu können, der sollte ihm wohl eine zweite Chance geben, denn „Blow Up“ ist durchaus ein Film, der sich bei weiteren Sichtungen sehr intuitiv erschließt. Aber was steckt nun dahinter? Antonionis Werk lässt sich wie eine Zwiebel Schicht für Schicht aufspalten, nur, dass diese Ebenen darüber hinaus alle ineinandergreifen. Zunächst steht natürlich die filmische Handlung per seim Zentrum, losgelöst von allen weiterführenden Gedanken und Interpretationen. Die Geschichte eines Londoner Fotografen, der zunächst seinen alltäglichen Tätigkeiten nachgeht und dadurch später durch Zufall einen vermeintlichen Mord dokumentiert. Dieser kurzmöglichste Abbruch des Inhalts führt zur zweiten Schicht, der reinen Gefühlsebene. Darin verkörpert „Blow Up“ natürlich das Lebensgefühl Swinging Sixties in London, welches sowohl durch die latenten sexuellen Spannungen im zwischenmenschlichen Bereich, als auch durch die stimmige Nachbildung der Musik-, Mode- und Gefühlswelt besticht (Der Jazz-Soundtrack von Herbie Hancock tut sein Übriges).


Prost!
Natürlich betrachtet er das damalige Lebensgefühl auch sehr kritisch und ironisiert einen Großteil davon, hauptsächlich natürlich in der bekannten Konzertszene. Und dennoch kann man sich einer gewissen Faszination dahinter nicht entziehen. Dahinter steht nämlich auch eine Auseinandersetzung mit Voyeurismus, etwas, dass das Kino per se seit jeher definiert. Denn als Fotograf ist Thomas genau das, und somit trotz seiner unsympathischen Art eine Identifikationsfigur, weil er hinter der Kamera den selben sicheren und überheblichen Standpunkt hat, den auch wir Zuschauer einnehmen können. In gewisser Weise hält uns Antonioni damit einen Spiegel vor und zeigt, dass wir als Betrachter nur reflektieren, jedoch nie eingreifen oder sogar etwas erschaffen können. Um sich davon zu lösen müsste man die Oberfläche selbst durchdringen und das gelingt uns Zuschauer paradoxerweise dann, wenn wir erkennen, dass Thomas dazu nicht im Stande ist. Ein Punkt, der im letzten Teil des Textes noch an Bedeutung gewinnt. Möchte man „Blow Up“ nun noch weiter untersuchen, so könnte man auch auf die postmodernen Aspekte des Films eingehen. Doch kommen wir an dieser Stelle besser zur essentiellen Deutung und Zusammenführung der bisherigen Erkenntnisse.


In seiner Einsamkeit verloren
Die wohl interessanteste und sicherlich auch zentrale Frage des Films lautet: Hat Thomas wirklich einen Mord fotografiert oder spielt sich alles nur in seiner verzehrten Wahrnehmung ab? Das wirklich Entscheidende daran ist, dass man dieser Frage auf allen Ebenen nachgehen kann und dabei unterschiedliche Antworten erhält. Auch die Gewichtung der Frage verschiebt sich, denn man könnte gegen Ende durchaus zu dem Schluss kommen, dass die Beantwortung der selbigen komplett nebensächlich ist und lediglich die persönliche Wahrheit zählt. Eine These, die von der genialen Schlussszene durchaus bekräftigt wird. Folgt man diesem Gedanken dann kommt man aber auch zu dem Schluss, dass Thomas daran glauben will einen Mord fotografiert zu haben. Und hier wird es interessant, denn gerade diese bewusste Entscheidung führt zur entscheidenden Thematik des Films, nämlich der verzehrten Selbstwahrnehmung eines Mannes über seinen eigenen Status in der Gesellschaft. Ja, Thomas sieht sich selbst als Künstler, lebt mit dem wohligen Gefühl der Überlegenheit, welches er auch spürbar an seiner Umwelt ablässt. Die Lustlosigkeit mit der er seiner kommerziellen Arbeit (Modefotografie) nachgeht ist konsequent spürbar, und gewiss stammt sein Missmut darüber auch daher, dass sie ihm vor Augen führt wie bedeutungslos er eigentlich ist.


Das Fotografieren im Park und die darauffolgende Scheinerkenntnis eines Mordes ist der verzweifelte Versuch sich als Künstler zu rehabilitieren, Bedeutung in seinem Schaffen zu finden. Er projiziert seine Wunschvorstellungen, und wenn er in der Schlüsselszene des Films seine Aufnahmen immer weiter vergrößert, damit verzweifelt versucht die Oberfläche zu durchdringen und in seinem Scheitern Bedeutung zu finden, dann bringt dieser Versuch sein künstlerisches Versagen auf den Punkt. Der Schlussakkord wird damit zu etwas extrem Tragischen, gibt sich Thomas doch vollends seiner persönlichen Wahrheit hin und schafft es dadurch nicht seine eigene Impotenz als Künstler zu überwinden, gar zu erkennen.


10 von 10 Tennisspiele ohne Ball 

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