Review: THE BOY - Sonderbares Puppentheater



                                                                              

Fakten:
The Boy
USA, CDN, CHI, 2016. Regie: William Brent Bell. Buch: Stacey Menear. Mit: Lauren Cohan, Rupert Evans, Jim Norton, Diana Hardcastle, Ben Robson, James Russell u.a. Länge: 98 Minuten. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Die Amerikanerin Greta nimmt in England einen Job als Kindermädchen auf einem abgelegenen, luxuriösen Anwesen an. Das ältere Ehepaar präsentiert zu ihrer Überraschung anstatt des angekündigten, achtjährigen Jungen eine lebensgroße Porzellanpuppe namens Brahms, den sie wie ein lebendiges Kind behandeln soll. Es gibt einen festen Ablauf von genau definierten Tätigkeiten, der zwingend einzuhalten ist. Da Greta keine große Wahl hat und die Arbeit trotz der merkwürdigen Rahmenbedingungen scheinbar einfaches, schnell verdientes Geld bietet, spielt sie das Spiel mit. Bis merkwürdige Vorkommnisse sie daran zweifeln lassen, dass Brahms wirklich nur ein lebloser Gegenstand ist…

                                                                               
Meinung:
Im Harmlosen und Unschuldigen schlummert oft eine irrationale, unheimliche Form der Bedrohung, weshalb Kinder und/oder Puppen immer wieder als Schreckensmotiv im Horrorfilm Verwendung finden. Im neuesten Streich von William Brent Bell („The Devil Inside“; „Wer – Das Biest in dir“) werden gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, wenn eine auf bizarre Art vermenschlichte Puppe seine neue Gouvernante zunächst an ihrer Wahrnehmung zweifeln lässt und später zur festen Überzeugung zwingt, dass sich hinter ihrem leblosen Porzellangesicht doch etwas Lebendiges versteckt oder gar Untotes lauert.


Wie aus dem Gesicht geschnitten...
Der Einstieg von „The Boy“ ist angenehmer, ganz klassischer Natur. Beginnend mit dem Eintreffen der jungen Protagonisten auf dem entlegenen, majestätischen Anwesen der (schon verdächtigen greisen) Arbeitgeber in der britischen Provinz, um sich um deren Sohn zu kümmern. Leichte Erinnerungen an Jack Clayton’s Genre-Meisterwerk „The Innocents“ („Schloß des Schreckens“) werden assoziiert, wobei der Film selbstverständlich nie auch nur in einem Moment wirklich in dessen Liga spielen kann. Doch die Lust ist geweckt an diesem grotesken Szenario, auf das sich die Hauptfigur erstaunlich schnell und ohne großartig nachzuhaken einlässt. Zumindest gemessen an wohl jeder halbwegs normalen, menschlichen Reaktion, die sich irgendwo zwischen lautem Gelächter, panischer Flucht und dem verdutzten Hinterfragen der Zurechnungsfähigkeit der neuen Brötchengeber liegen dürfte. Begründet mit ihrer später erläuterten Notsituation kann man das noch gelten lassen und letztlich ist es ja auch egal, mit wie wenig Furcht der offensichtlich geistesgestörten Situation anfangs entgegengetreten wird, wenn der Plot erstmal ins Rollen gekommen ist.


"Hallo, jemand zuhause?"
Schön ausgestattet, vernünftig gespielt und mit einem (un)wohligen Ambiente versehen wird ein solides Gruselfilmfundament errichtet, das genügend Platz und Spielraum für einen überdurchschnittlich guten Genre-Vertreter bietet. Über den stabilen Unterbau kommt „The Boy“ jedoch sehr selten hinaus und vermag seine sich bietenden Chancen nicht am Schopf zu ergreifen. Das offensichtlichste Problem liegt nicht in der Präsentation und der Grundidee, sondern in der mangelnden Cleverness von Narration und der bescheidenen Anwesenheit von echtem Gänsehautcharakter. Sehr schlichte Jump-Scares werden in regelmäßigen Tonus benötigt, um das  Fehlen und  - wenn doch mal dezent aufgebaut - besonders das Aufrechterhalten eines konstanten Spannungsbogens zu überblenden. Wenn das kalkulierte Zucken ausbleibt, hat der Film in der wichtigsten Hinsicht nicht viel zu bieten. Eine flächendeckende, jederzeit zu eskalieren drohende Anspannung ist nicht wirklich vorhanden. Zudem verspielt der Film seinen größten Trumpf relativ fahrlässig bzw. desinteressiert, denn wenn „The Boy“ mit seinen verschiedenen Variationsmöglichkeiten geschickter hantieren würde, allein das könnte einiges an Grundspannung generieren.


Isst wenig, aber sitzt gerade und quatscht nicht so viel.
Womit haben wir es hier zu tun? Einem übernatürlichen Phänomen, einem echten Jungen gefangen in einem künstlichen Körper? Mit Geistern, Dämonen, einer von außen gelenkten Manipulation oder verfällt unsere Heldin in der isolierten Umgebung und der absurden Situation ebenso dem Wahnsinn wie scheinbar ihre Auftraggeber? Damit müsste „The Boy“ viel intensiver, viel durchdachter arbeiten, stetig Verdachtsmomente und Zweifel säen, dann würde auch die gar nicht mal so schlechte Pointe deutlich effektiver zur Wirkung kommen. So werden wohl nur wenige Zuschauer bis zum Schluss alle Optionen als möglich betrachten, dafür investiert der Film schlicht zu wenig. Relativ schnell dürfte man sich festgelegt haben und wartet nur darauf, ob die Vermutung sich bestätigt. Ob dem nun so ist oder nicht, das Ende und der damit einhergehende Aha-Moment gefallen oder nicht, es bleibt leider nur eine Randerscheinung. Schlecht ist das nicht, es verpufft nur unnötig einfach. Wie bei einem mittelprächtigen Bühnen-Zauberer ist es eigentlich egal, was er so im Mittelteil veranstaltet, auf das Simsalabim wird gewartet. Das ist auch okay. Nur zwischen dem Anfeuern und Ablöschen qualmt es oft nur vor sich hin.


Im Resümee ist „The Boy“ kein kompletter Fehlschlag, ist auf dem Papier sogar eine recht interessante Idee und in rein technisch-oberflächlicher Hinsicht sauber vorgetragen. Mehr als im Grunde reizvoller 08/15-Ware bleibt leider nicht übrig, die sich zu sehr im Einerlei des Genres aufreibt, obwohl er mehr könnte…und deshalb schon bringen müsste. 

5 von 10 pflegeleichten Knaben

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