Review: MIDNIGHT SPECIAL – Ein Science-Fiction-Drama der außergewöhnlichen Sorte


Fakten:
Midnight Special
US, 2016. Regie & Buch: Jeff Nichols. Mit: Michael Shannon, Joel Edgerton, Kirsten Dunst, Jaeden Lieberher, Adam Driver, Sean Bridgers, Paul Sparks, Sam Shepard, Scott Haze u.a. Länge: 112 Minuten. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Ab dem 23. Juni 2016 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Alton ist kein gewöhnlicher Junge, denn anscheinend besitzt der 8-jährige besondere Fähigkeiten, die ihn für religiöse Sekten ebenso attraktiv machen wie für Teile der Regierung. Um den Jungen zu beschützen und offenbar zu einem bestimmten Ereignis zu bringen, das zunächst nicht genauer erklärt wird, begibt sich sein Vater mit ihm und einem alten Freund auf die Flucht...




Meinung:
Über die letzten Jahre hinweg hat sich Jeff Nichols zu einem der momentan interessantesten Regisseure entwickelt. Den einfachen Weg ging er dafür nie, denn seine Filme vereinen meistens verschiedene Genres und Stimmungen miteinander, die noch dazu auf den ersten Blick nicht immer einwandfrei zusammenpassen wollen. In "Take Shelter" beispielsweise trafen apokalyptisch beängstigende Visionen auf eine schizophren-instabil wirkende Hauptfigur, während Nichols seine düsteren, schweren Themen mit einer unheimlich feinfühligen, bewegenden Intimität inszenierte, durch die er eine unvergleichliche Atmosphäre erzeugte, die einer gefühlsmäßigen Achterbahnfahrt entsprach.


Gemeinsam und mit Waffengewalt setzen sie sich zur Wehr
Für "Midnight Special" hat der Regisseur seinen speziellen Stil nun vollständig auf die Spitze getrieben und das in seiner bisherigen Karriere wohl polarisierendste Werk geschaffen, bei dem es extrem schwer fällt, zu einem eindeutigen Urteil zu gelangen. Zunächst ist man vom Film aber erstaunlich schnell gefesselt, denn Nichols startet mit einem Auftakt, der Fragezeichen aufwirft, über die man sich gar keine klaren Gedanken bilden kann, denn im nächsten Moment befinden sich die Hauptfiguren bereits in einer adrenalingeladenen Flucht und rasen mit dem Auto über die Straßen. "Midnight Special" handelt zu Beginn von zwei Männern, die einen kleinen Jungen offensichtlich vor irgendetwas beschützen wollen, während in sämtlichen Nachrichten davon berichtet wird, dass genau dieser Junge aus seinem Elternhaus entführt wurde. Hinzu kommt, dass eine religiöse Vereinigung ebenso an dem Jungen interessiert ist wie die Regierung, bei der sich schnell die NSA und das FBI einschalten. Über das gesamte erste Drittel hinweg sind diese Informationen beinahe alles, was sich von der Handlung erfassen lässt, denn ansonsten verlaufen zentrale Mysterien bewusst länger im Dunkeln.


In dem Jungen stecken ungeahnte Kräfte
Nichols verfolgt mit seinem Ansatz ein höchst interessantes Konzept, das sich allerdings in gewisser Weise auch als frustrierend entpuppt. Der Regisseur will sich zu keinem Zeitpunkt für eine klare Linie entscheiden, streut Science-Fiction-Elemente in die Geschichte, nur um in der nächsten Szene nach den ganz großen Drama-Lorbeeren zu greifen, wenn er Thematiken wie familiären Zusammenhalt, unausweichliche Schicksale und moralische Zweifel in einen geerdeten, zurückhaltenden Rahmen bringen will. Als wäre das nicht schon ambitioniert genug, nimmt "Midnight Special" auch immer wieder Züge eines reinrassigen Thrillers an, in dem sich die Figuren zu einem wuchtig-mitreißenden Score in Verfolgungsjagden befinden oder konzentrierte Schusswechsel liefern. In seinen besten Momenten läuft der Film dadurch zu wahrer Höchstform auf und bietet eine Reihe von Einzelszenen, die schlichtweg überwältigend sind und die Grenze zum Konventionen sprengenden Meisterwerk sowie innovativen Genre-Hybrid immer wieder streifen. Leider beschränkt sich dieser Eindruck lediglich auf Einzelszenen, denn letztlich bleibt "Midnight Special" als Gesamtwerk seltsam ungreifbar, zerbricht regelmäßig an der Last, leise Dramatik mit überbordender Fantasie zu verbinden und irritiert mit Einschüben in Form des Nebenhandlungsstrangs der Regierungsaktivitäten, die sich in bloßen Spurensuchen und trockenen Theorien erschöpfen.


Auch wenn dem Regisseur mit der Handlung eine spürbar persönliche Geschichte am Herzen lag, bei der Nichols seine eigenen Erlebnisse als Vater verarbeitete, stehen gefühlvolle Momente im Konflikt mit der ständigen Geheimniskrämerei, bei der die Motivationen und Charakterzüge der Figuren, die überwiegend stark besetzt sind, zu lange verborgen bleiben, um nachhaltig zu berühren. "Midnight Special" ist am Ende aber trotzdem nicht weniger als ein überaus interessantes Werk, das so faszinierend aus dem Ruder läuft wie schon lange kein Film mehr. Selbst in den schwächeren Momenten hält einen der Film nahe bei sich, während in den besten Momenten Potential eines brillanten Meisterwerks aufblitzt, das bedauerlicherweise nie vollständig entblättert wird. 


7 von 10 zum ersten Mal gemeinsam erlebte Sonnenaufgänge



von Pat

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