Review: DAS BRANDNEUE TESTAMENT – Gottes Tochter hat die Schnauze voll

Fakten:
Das brandneue Testament (Le tout nouveau testament)
BE/FR/LU, 2015. Regie: Jaco Van Dormael. Drehbuch: Jaco Van Dormael, Thomas Gunzig. Mit: Benôit Poelvoorde, Pili Groyne, Yolande Moreau, Catherine Deneuve, Laura Verlinden, Marco Lorenzini, Didier De Neck, Anna Tenta u.a. Länge: 112 Minuten. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Gott lebt als gewöhnlicher Mensch mit Frau und Kind in Brüssel. Charakterlich ist er allerdings nicht der barmherzige Allmächtige, von dem sich alle erzählen, sondern ein abscheulicher Mistkerl, der mit dem Schicksal der Menschen ständige Späße treibt und seine Familie wie Dreck behandelt. Seine kleine Tochter hat eines Tages genug davon und setzt sich gegen den Vater zur Wehr. Sie veröffentlicht sämtliche Todesdaten aller Menschen auf einen Schlag, flüchtet von zu Hause und macht sich auf die Suche nach sechs Aposteln, mit deren Hilfe sie ein brandneues Testament schreiben will.




Meinung:
Jaco Van Dormael macht es seiner Fangemeinde nicht leicht, denn als wirklich produktiver Regisseur lässt sich der Mann wohl kaum bezeichnen. Im Zeitraum von 24 Jahren hat er gerade einmal vier Spielfilme gedreht und trotzdem ist Van Dormael für viele ein Unikat, was nicht zuletzt an seinem ungewöhnlichen Stil liegt, den man eigentlich nur lieben oder ablehnen kann. Zuletzt setzte der Regisseur die Erwartungshaltung für nachfolgende Werke recht hoch an, denn sein "Mr. Nobody" aus dem Jahr 2009 war ein derartig ambitioniertes, fantasievoll überbordendes, inszenatorisch vor Kreativität nur so explodierendes sowie emotional ergreifendes Werk über das Leben, die Liebe und überhaupt so ziemlich alles eigentlich.


Mit dem Gott aus der Bibel hat er hier nichts gemeinsam
Diese außergewöhnliche Handschrift wird auch in "Das brandneue Testament" zu Beginn bereits klar ersichtlich, wenn Van Dormael eine gleichermaßen absurde wie interessante Geschichte einleitet, in der Gott höchstpersönlich als gewöhnlicher Mensch mitten in Brüssel mit Frau und Tochter lebt und darüber hinaus charakterlich ein absolut verachtenswerter Mistkerl ist. Seine vernachlässigte Tochter will nicht länger mit ansehen, wie der Vater Späße auf Kosten der Schicksale anderer treibt und veröffentlicht sämtliche Sterbedaten aller Menschen auf einen Schlag. Zusätzlich macht sie sich daran, sechs Apostel zu versammeln, mit deren Hilfe sie die bisherige Bibel völlig umschreiben und somit das titelgebende brandneue Testament erschaffen möchte. Was zunächst als einfallsreicher Auftakt beginnt, der mit schrägen Ideen und einem auffällig fiesen Humor besticht, entwickelt sich allerdings schnell zu einem filmischen Totalausfall, bei dem Van Dormael den gesamten Film unaufhaltsam, aber dafür umso härter völlig an die Wand fährt. Als regelrechtes K.O.-Kriterium erweist sich dabei der misslungene Spagat zwischen den verschiedenen Erzählrichtungen, durch die der Streifen von einer extremen Richtung in die andere schlägt und alles über den Haufen wirft, was teilweise vielversprechende Momente vorab errichtet haben.


Eine Szene, so kurios wie sinnlos...
"Das brandneue Testament" ist als kaum definierbares Gesamtwerk, was erstmal nichts schlechtes zu bedeuten hat, der seit langer Zeit mit Abstand merkwürdigste, unrundeste und fehlgeschlagenste Versuch, schwarzen Humor, religiöse Satire und ekelhaft sich anbiedernden Wohlfühlkitsch unter einen Hut zu bringen. Im Kern der Handlung stehen die einzelnen Hintergrundgeschichten der Apostel, die von Gottes Tochter aufgesucht werden. Durch diesen Erzählstil, der sich hier generell ziemlich früh abnutzt und lediglich durch die gewohnt verspielte Inszenierung des Regisseurs aufgewertet wird, wirkt der Film wie eine Aneinanderreihung skurriler Episoden, deren Inhalte zwischen banal, uninteressant oder vollkommen deplatziert schwanken. Wenn ein sexbesessener Mann den großen Schwarm seiner Kindheit und gleichzeitig Indikator seines Lasters wiedertrifft, weil er mit ihr gemeinsam einen Porno synchronisiert oder eine Frau im reifen Alter die Erfüllung in Gestalt eines Gorillas findet, mit dem sie sich schließlich zärtlich ein Bett teilt, dann sind das schon mehr als nur unkonventionelle Formen, Spielarten der Liebe auszudrücken und man muss sich als Zuschauer verwundert fragen, was sich der Regisseur bei derart hanebüchenem Quatsch nur gedacht hat.


Was ebenfalls kaum miteinander harmonieren will, sind die bedeutungsschweren Klaviertöne auf der Tonspur, die große Tragik und selbstgefällige Poesie vermitteln wollen, sowie die vereinzelt eingestreuten Szenen von Gott, der wutentbrannt seiner Tochter hinterherjagt und dabei ständig von anderen Menschen, also seiner eigenen Schöpfung, verprügelt oder anderweitig körperlich geschädigt wird, was vermutlich beißende Ironie darstellen soll, im Angesicht der plumpen Umsetzung aber wirkungslos verpufft. Als kleiner Lichtblick erweist sich kurz vor dem Ende die letzte Geschichte, welche von einem todkranken Jungen handelt, der in der wenigen Zeit, die ihm noch bleibt, einfach nur seine bereits entdeckte Transsexualität ausleben möchte. Zerstört wird diese eigentlich würdevoll inszenierte Episode durch ein unglaublich feiges, ärgerliches Ende, bei dem der Streifen endgültig jegliche Hoffnungen auf einen wenigstens stimmigen Abschluss krachend begräbt. "Das brandneue Testament" ist eine schmerzhafte Enttäuschung, vor allem in Anbetracht dessen, was der Regisseur bisher an bemerkenswerten bis einzigartigen Werken geschaffen hat. Ein erschreckender Ausrutscher, bei dem man sich wünscht, dass wenigstens dieser einzigartig bleibt.


3 von 10 Schleudergänge in der Waschmaschine




von Pat

1 Kommentar:

  1. Der Trailer machte mich neugierig, aber leider kann ich mich nach Schauen des Films nur noch dieser Rezension anschließen. Der Film hat nette Momente und Ideen sowie vereinzelt lustige Szenen. Diese können aber leider nicht über das Gesamtergebnis hinwegtäuschen. Danke, dass man sich auf die Rezensionen der drei Muscheln wie immer verlassen kann.

    AntwortenLöschen