Review: HIGH-RISE – Chaos und Anarchie im futuristischen Hochhaus-Komplex

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Fakten:
High-Rise
GB, 2015. Regie: Ben Wheatley. Buch: Amy Jump. Mit: Tom Hiddleston, Luke Evans, Jeremy Irons, Sienna Miller, Elisabeth Moss, James Purefoy, Peter Ferdinando, Stacey Martin, Emilia Jones u.a. Länge: 118 Minuten. FSK: Noch nicht geprüft. Ab dem 30. Juni 2016 im Kino.


Story:
In einer nicht näher bestimmten Zukunft haben sich in Großstädten gewisse Mikro-Gesellschaften gebildet. Diese leben in einem gigantischen Hochhaus-Komplex, der über zahlreiche Stockwerke hinweg ein funktionierendes System bildet, in dem unter anderem Schulen, Supermärkte und Freizeitaktivitäten zur Verfügung stehen. Über die Zeit hinweg hat sich allerdings eine bekannte Dreiklassengesellschaft mit Unterschicht, Mittelschicht und Oberschicht gebildet, die nun kurz davor ist, die gesamte Zivilisationsordnung zur Implosion zu führen.




Meinung:
Wenn man eines an Ben Wheatley schätzen kann, dann ist es seine schiere Unberechenbarkeit. Der englische Filmemacher liebt es ganz offensichtlich, sich zwischen den Genres zu bewegen, Sehgewohnheiten schroff zu unterwandern und den ein oder anderen Zuschauer seines Publikums gehörig vor den Kopf zu stoßen. "Kill List" beispielsweise, der immer noch als einer der großen Geheimtipps der letzten Jahre gelten darf, war eine unglaublich unbequeme Mischung aus Thriller und Horror, in der schaurige Vorzeichen und merkwürdige Vorfälle schließlich in einen Gipfel blanken Entsetzens mündeten. Auch "Sightseers" darf eindeutig als ungewöhnlich eingestuft werden, denn hier treffen schwarzer Humor auf brachiale Gewalteinlagen und ein psychopathisches Hauptfiguren-Pärchen auf verschrobene Gemütlichkeit.


Tom Hiddleston im Aufzug und mit sich selbst eingesperrt
In "High-Rise" kommt nun anscheinend endlich zusammen, was wie füreinander bestimmt zu sein scheint. Die Romanvorlage von Autor J.G. Ballard, der für seine dystopischen, surrealen Geschichten bekannt wurde, gelangte in die Hände von Wheatley, der bekanntlich keine Risiken scheut, um seine Filme in Erlebnisse zu verwandeln. Der Regisseur entwirft ein Szenario, bei dem ein gigantischer Hochhaus-Komplex als in sich abgeschlossener Mikrokosmos dient, in welchem den Bewohnern von Freizeitanlagen über Schulen bis hin zu Supermärkten alles zur Verfügung steht, was als lebensnotwendig oder grundsätzlicher Bedarf erachtet wird. Verlassen werden muss dieses Hochhaus eigentlich nur noch zum Arbeiten, ansonsten gibt es keine Gründe, weshalb man sein Leben außerhalb dieser abgeschotteten Welt führen sollte. Nichtsdestotrotz hat dieser Entwurf einer zukünftigen Lebensweise seine Tücken, die sich in der mittlerweile etablierten Dreiklassengesellschaft offenbaren. Während die dekadente Oberschicht rauschhafte Partys feiert und im Luxus schwimmt, brodelt es in der Unterschicht immer stärker. Problematisch wird dieser Zustand außerdem für die Mittelschicht, in der sich unter anderem der Arzt Dr. Robert Laing befindet, welcher zunehmend zwischen die Fronten gerät und kaum noch weiß, zu wem er überhaupt Stellung beziehen soll.


Der entscheidende Stein, der die Apokalypse ins Rollen bringt
Anhand von kühl entworfenen Bildern und der präzisen Betrachtung bestimmter Einzelfiguren aus den unterschiedlichen Schichten treibt Wheatley das Geschehen leise aber spürbar auf einen gewissen Höhepunkt zu. Bis es allerdings zur unabwendbaren Katastrophe kommt, deren Konsequenzen der Regisseur direkt zu Beginn vorweg nimmt, bevor die Handlung drei Monate zurück springt, ist der Film bereits vorab ein mitunter kaum zu erfassender Rausch, in dem sich kleine Zwischenfälle, apokalyptische Symbolik und laute Konflikte zu einem zunächst unsichtbaren Kollaps vereinen. Mithilfe von unwirklichen, exzessiven Montagen, einem herausragenden Score von Clint Mansell und dem konzentrierten Spiel der Darsteller, welche zeitweise zwischen Verzweiflung, Unsicherheit, Aggression und blankem Kontrollverlust agieren, verkommt "High-Rise" zu einer malerischen Symphonie des schleichenden Wahnsinns, die in jeder Einstellung düstere Paranoia sowie die Gewissheit über das nahende Unheil verkündet. Wheatley treibt das Konzept dabei ebenso ungestüm wie rücksichtslos auf die Spitze, indem er unaufhörliche Anarchie als glorreichen Wandel zelebriert und das anfangs brüchige Fundament der ungleichen Klassengesellschaft vollständig niederreißt.


Als kaum zu beschreibendes, gänzlich unbändiges Gesamtwerk ist "High-Rise" eine zynisch-ätzende Dystopie, die inszenatorisch manchmal sogar strengstens kontrolliert wirkt, nur um sich im nächsten Moment ganz dem fiebrigen Exzess hinzugeben und Impressionen auf den Betrachter loszulassen, die so ungreifbar wirken wie sie wunderschön und einfach Kino pur sind. Ein finsterer Rausch, der den Untergang der vorherrschenden Zivilisationsordnung mit einem Lachen im Gesicht durchführt und am Ende nichts als endgültigen Wahnsinn und platzende Seifenblasen hinterlässt.


8 von 10 gegrillte Hunde



von Pat

Review: BARCA – DER TRAUM VOM PERFEKTEN SPIEL - Uninspiriertes Historien-Heimspiel mit Überverlängerung

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Fakten:
Barca – Der Traum vom perfekten Spiel (Barca Dreams)
Spanien. 2015. Regie: Jordi Llompart. mit: Lionel Messi, Pep Guardiola, Andrés Iniesta, Johan Cruyff, Eric Abidal, Ramon Besa, Xavier Herandez, Ronald Koeman, José Ramón Alexanko, Gary Lineker, Gerard Piqué u.a. Länge: 120 Minuten. FSK: freigegeben ohne Altersbeschränkung. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Barcelona – eine Stadt, ein Team, ein weltweiter Kult. Seit nunmehr über einem Jahrhundert ist der katalanische Vereinsclub eine nicht mehr aus dem internationalen Sportwettbewerb wegzudenkendes Synonym für erstklassigen Fußball, weltweit längst über die Grenzen Spaniens und der globalen Fangemeinde hinausreichend geachtet und verehrt. Selbst die größten Kulturbanausen werden neben genervtem Stirnrunzeln ebenso wie feuereifrige Fans widerstrebend und wissend nicken, wenn Namen wie Lionel Messi, Pep Guardiola oder Andrés Iniesta fallen.




Meinung:
Der amerikanisch-spanische Dokumentarfilmer Jordi Llompart will nun mit seinem Film „Barça– Der Traum vom perfekten Spiel“ dem Phänomen auch filmisch ein Denkmal setzen, tief ins für den Mannschaftssport schlagende Herz vordringen und dort die großen Geheimnisse lüften, wie es großspurig auf dem DVD Cover heißt. Auch wenn er weder in den ersten, noch den üppigen 116 Folgeminuten diese vollmundigen Versprechen einlösen kann, so ist der Anfang durchaus gelungen. Lediglich mit den tiefen Atemzügen, den Schritten auf dem Rasen, undeutlichen Rufen der Mannschaftskollegen zueinander und den bis zum entscheidenden Tor stummgeschalteten Zuschauermassen auf der Tonspur, macht die Eröffnungssequenz es erfahrbar, wie es sich anfühlen, anhören muss, dort im Camp Nou vor Tausenden johlenden Fans um einen Meisterschaftstitel zu kämpfen. Die pathetischen Zeitlupenbilder erinnern dabei ein ums andere Mal an Sönke Wortmanns „Das Wunder von Bern“, verfehlen aber keineswegs ihre Wirkung.


Bild aus vergangenen Zeiten
Nach diesem atmosphärischen Auftakt, begibt sich Barça jedoch nicht hinter die Kulissen, wie etwa Wortmanns „Sommermärchen“ in die Mannschaftskabinen, sondern entpuppt sich als filmischer Museumsbesuch, bei dem 115 Jahre Vereinsgeschichte in etwa genauso viel Laufzeit chronologisch aufgerollt werden. Geradezu schulmeisterlich bebildert man die Gründung durch den Schweizer Joan Gumper in den frühen 1900er Jahren, die Auswirkungen zur Zeit des spanischen Bürgerkrieges und der Franco-Diktatur sowie des Zweiten Weltkriegs. Wie auf einer Checkliste hakt die Dokumentation die prägendsten Ereignisse in teilweise stummfilmhaften Originalaufnahmen und Interviews ab, bei denen sich ehemalige wie derzeitige Spieler von Graham Hunter bis Messi mit Sportjournalisten und permanenten Lobeshymnen gegenseitig die Bälle zuspielen, aber kaum einmal Mitglieder der weltweiten Fanclubs ihre Liebe zum Verein vor der Kamera Luft machen dürfen. Stur arbeitet sich „Barça“ an einem schnurgeraden roten Faden ab, ohne dabei sonderlich in die Tiefe zu gehen. Die unliebsameren Aspekte, wie das ständige hin-und herschieben von Spitzenspielern, Trainern, oder exorbitanten Geldsummen zwischen den Vereinen innerhalb des internationalen Fußballs, lässt man zwar nicht direkt unter den Tisch fallen, reißt man aber bestenfalls oberflächlich an, um es dann unter den Kunstrasen zu kehren.


Modisch immer wieder en vouge, die Jungs von Barca
Doping-Vorwürfe gegen Lionel Messi, der Einfluss des Franco-Regimes, die Umstände des Selbstmordes von Gründer Gumper, die Phase der Depression in den 60er Jahren als Kontrastprogramm zur aufkommenden Weltoffenheit außerhalb von Spanien – all das findet zweifellos Erwähnung, wirkt aber höhepunktarm und wie aus dem Lehrbuch artig abgespult. Später gelingt es Regisseur Llompart aber immerhin, den Fokus auf die ganz großen Persönlichkeiten zu richten. Als Schlüsselfigur für den durchschlagenden Erfolg der Katalanen positioniert sich der Spieler und spätere Vereinstrainer Johan Cruyff, der Barça mit seiner Idee vom „totalen Fußball“ revolutionierte. Auch Wunderkind Lionel Messi, der mit gerade einmal 13 Jahren seine Familie in Argentinien für eine bessere Zukunft zurückließ, und allen voran Josep „Pep“ Guardiola, welcher u.a. von 1990 bis 2001 für Barcelona im Mittelfeld spielte und diesen Sommer nach dreijähriger Trainerschaft vom 1. FC Bayern München zum Premier-League Team von Manchester City wechseln wird, bekommen ihren Platz in der dokumentarischen Ruhmeshalle des gebürtigen Katalanen, der sich spätestens nach der Hälfte der Laufzeit als glühender Barça-Fan offenbart haben sollte und zum langatmigen Ende hin kaum noch eine gesunde Distanz zu bewahren scheint.


So ist „Barça“ allenfalls für hartgesottene Fans sehenswert,die die schamlose Heiligenverehrung nicht stören wird,, die man hier sich selbst schulterklopfend zelebriert, während desinteressierte Fußball-Boykottierer sich allenfalls am Kopf kratzen, darüber wundern, was sie gerade gesehen haben und dann achselzuckend weiterschlafen werden, denn wie so viele andere ist auch der „Traum vom perfekten Spiel“ nach dem Aufwachen gleich schon wieder vergessen.


4 von 10 müden Lattenknallern

von Dominik Koe

Review: DER SCHAMANE UND DIE SCHLANGE – Über eine Reise ins Herz des Urwalds

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Fakten:
Der Schamane und die Schlange (El abrazo de la serpiente)
AR, CO, VE. 2015. Regie: Ciro Guerra. Buch: Ciro Guerra & Jacques Toulemonde Vidal. Mit: Jan Bijvoet, Brionne Davis, Nilbio Torres, Antonio Bolivar, Luigi Sciamanna, Yauenkü Migue, Nicolas Cancino u.a. Länge: 125 Minuten. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Im Kino.

Story:
Im Jahre 1909 reist der deutsche Forscher Theodor Koch-Grünberg nach Südamerika, um die Eingeborenen und die Region zu erforschen. 30 Jahre später bricht der amerikanische Biologe Richard Evans Schultes in die gleiche Region auf und will Pflanzen untersuchen. Beide treffen auf den Schamanen Karamakate, den letzten Angehörigen seines Stammes. Er soll die Männer zu einer sagenumwobenen Pflanze führen, deren Standort und Zubereitung das große Geheimnis seines Volkes ist.




Meinung:
Selbst unter aufgeschlossenen Filmfans werden bestimmte Länder und sogar Kontinente als Herkunftsland filmischer Qualität oftmals sträflich vernachlässigt. Neben dem afrikanischen Raum gehört vor allem Südamerika zu ebenjenen Gebieten, die vielen Zuschauern so gut wie gar nicht geläufig sind. Umso erfreulicher ist es jedoch, wenn ein kolumbianischer Film verhältnismäßig betrachtet weltweit größere Wellen schlägt. Nach der Nominierung für den besten fremdsprachigen Film bei den Oscars schafft es „Der Schamane und die Schlange“ nun Zuschauer und Kritiker gleichermaßen in seinen Bann zu ziehen. Erfreulich, denn Ciro Guerras Werk zählt zu den bisher besten Filmen des Jahres.


Zwischen den Kulturen wird fröhlich gehandelt
Basierend auf den Reisetagebüchern zweier Forscher verfolgt der Film eine äußert fein konstruierte Zweiteilung. Die 30 Jahre auseinanderliegenden Stränge verflechtet der kolumbianische Regisseur geschickt ineinander und so verleiht er der zunächst simpel anmutenden Geschichte zusätzliche Würze. Indem er beide Ebenen durch den Schamanen Karamakate verbindet und nach und nach die selben Stationen des Dschungel abklappert, macht der Film eindrucksvoll deutlich, wie wenig sich der Wald und wie sehr sich der Mensch verändert. Denn neben seiner charakterorientierten Erzählung und der Entwicklung Karamakates vermittelt „Der Schamane und die Schlange“ vor allem die Wichtigkeit traditioneller Werte. Völlig unaufgeregt und ohne mit der Moralkeule zu schwingen, erklärt der Film seinen Zuschauern die Bedeutung von Nachhaltigkeit, den Stellenwert von Natur und macht zugleich auch deutlich, dass Fortschritt keinesfalls negativ behaftet sein muss. In seiner formalen Prägnanz verteufelt der Regisseur nie eine der beiden Seiten, sondern stellt Veränderung final als etwas Unabwendbares und dadurch auch wichtiges heraus. Durch seine naturalistischen Bilder wird „Der Schamane und die Schlange“ zu einem meditativen Erlebnis, welches verbunden mit seiner essentiellen Botschaft eine mehr als lohnende Filmerfahrung bietet.


Faszination Urwald
Die Reise ins Herzen des Urwalds wandelt sich zusehends zu einer Reise ins eigene Ich. Die Suche nach einer seltenen Pflanze ist gleichsam die Suche nach der eigenen Identität. Das funktioniert nicht bei allen Figuren auf die gleiche Art, und doch müssen alle Charaktere in sich gehen. Beim Schamanen Karamakate ist es die Interaktion mit anderen Individuen, jahrelang für sich allein zwingt ihn jeder Kontakt, jegliche Art von Kommunikation zur Selbstreflexion. Die Gesellschaft anderer Menschen hält ihm den Spiegel vor. Ganz anders bei den beiden Forschern. Während der eine vor allem aufgrund seiner schweren Krankheit und des immer wieder auftretenden Fieberwahns zur Auseinandersetzung mit sich selbst gezwungen wird, ist es bei dem anderen die omnipräsente Erscheinung des Urwalds, welche ihn tiefer in sich selbst führt. Interessant ist auch, wie sich beide zunächst an ihren Besitz, ihrer einzigen Verbindung zur Heimat festklammern und diesen dann bei wachsender Erkenntnis doch aufgeben. Das wohl spannendste an dieser Selbstfindung ist jedoch die leise und meditative Art an welcher der Film seine Zuschauer teilhaben lässt. Auch für den Betrachter kann der Kinobesuch zu einer nachdenklich stimmenden Reise werden.


In seiner behäbigen Erzählweise und durch seine langsamen schwarz-weiß Bilder ist „Der Schamane und die Schlange“ sicherlich kein Film für Jedermann. Zu minimalistisch ist dabei die Erzählung, zu sperrig der Wechsel zwischen den Sprachen und zu ungewohnt die komplette Bildsprache. Schade, denn Ciro Guerras faszinierendes Werk ist im positivsten Sinne des Wortes ungewöhnlich und hat jedem etwas zu sagen, der nur aufmerksam genug hinschaut und hinhört.


8 von 10 halluzinogenen Pflanzen