Review: '71 – HINTER FEINDLICHEN LINIEN – Verloren im Kriegsgebiet




Fakten:
’71 – Hinter feindlichen Linien ('71)
UK. 2014. Regie: Yann Demange. Buch: Gregory Burke.
Mit: Jack O’Connell, Paul Anderson, Sean Harris, Richard Dormer, Barry Keoghan, Killian Scott, Sam Reid, Charlie Murphy, Martin McCann, David Wilmot u.a. Länge: 100 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Ab 18. August 2015 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Belfast 1971 - Die Einheit des jungen englischen Soldaten Gary wird nach Nordirland beordert, um die örtliche Polizei bei einem Routineauftrag zu unterstützen. Doch gleich der erste Einsatz gerät völlig außer Kontrolle. Von seinen Kameraden getrennt, muss Gary vor den aufgebrachten Iren von nun an um sein Leben rennen. Nur durch die Hilfe einiger Einwohner erhält er die Chance, diesen zu überleben und zu seiner Einheit zurückzukehren. Allerdings wird Gary bei einem Bombenattentat schwer verletzt und findet Unterschlupf bei einer katholischen Familie. Und doch ist er noch nicht in Sicherheit: Die IRA ist ihm bereits dicht auf den Fersen.




Meinung:
Eigentlich wollte er nur helfen, doch der junge Soldat Gary Hook (Jack O'Connell, „Unbroken“, „Mauern der Gewalt“) war sich nicht im Klaren darüber, dass ihn in Belfast niemand um seine Hilfe bitten wird - für Menschlichkeit scheint dort kein Platz mehr gegeben zu sein. „'71 – Hinter feindlichen Linien“ von Yann Demange ist angesiedelt in einer Zeit, in der sich der Nordirlandkonflikt auf seinem gewalttätigen Höhepunkt befand: Irlands Hauptstadt rückt den möglichen Ausmaßen einer urbanen Hölle verdammt nahe auf den Klinkerpelz; paramilitärische Splittergruppen tummeln sich da kontinuierlich auf den Straßen. Sich einen echten Überblick zu verschaffen scheint unmöglich, jeder bekriegt hier jeden, und über allem thront der Tür an Tür ausgetragene Identitätskampf zwischen der katholisch geprägte IRA (Irish Republican Army) und den unionistischen Protestanten. Wir treten diesem Chaos durch die Augen des unerfahrenen Gary entgegen – und dürfen dabei mal wieder in Erfahrung bringen, was es bedeuten kann, in temporärer Atemlosigkeit vor dem Bildschirm zu kauern.


Eingekesselt im nachbarschaftlichen Kriegsgebiet
Tatsächlich steht „'71 – Hinter feindlichen Linien“ bisweilen so dermaßen unter Strom, dass es schon mal schwierig wird, Luft zu holen. Yann Demange inszeniert seinen Kriegs-Thriller wie einen unnachgiebigen Kraftmarsch durch eine von Gewalt und Hass vollkommen infizierte Metropole. Gary hat sich diese beängstigenden Umstände nicht ausgesucht, zur Armee ist er gegangen, weil ihm keine andere Option geblieben ist und die Informationen, warum es für ihn und sein Bataillon ganz grundsätzlich nach Nordirland gehen musste, wird nicht gesagt – Es war eben ein Befehl. Und diese nicht einmal mehr kryptische Haltung trägt „'71 – Hinter feindlichen Linien“ über den gesamten Film hinweg inne: Worum es bei dem Nordirlandkonflikt eigentlich geht, welche Machtstrukturen involviert waren und welche religiösen, wirtschaftlichen und politischen Aspekte währenddessen eine elementare Rolle gespielt haben, lässt „'71 – Hinter feindlichen Linien“ ganz gezielt unter den Tisch fallen. Das lässt Yann Demanges ersten Spielfilm zuweilen etwas hinken, nimmt ihm als Genre-Reduktion aber nicht die wuchtige Effektivität.


Wer es sich wirklich verkneifen kann, banalste Fragen zu offerieren, wieso, weshalb und warum es eigentlich zu diesem Konflikt kommen konnte, der wird „'71 – Hinter feindlichen Linien“ als durchaus intensiven Film erleben: Wie Demange die Nervosität und Hektik innerhalb der städtischen Grenzen greifbar macht, wie er die Anspannung nicht nur durch die hitzige Handkamera, sondern auch ganz explizit über die Tonspur mit entschiedener Vehemenz erfahrbar macht, ist schon aufreibend. Verloren hinter feindlichen Linien, muss sich Gary auf eigene Faust irgendwie durch das Kriegsgebiet befördern. Verranzte Wohnblöcke, schmale Seitengassen und hinter jeder Ecke scheint der von Rauchschwaden umwitterte Schmelztiegel seine bedrohlichen Auswüchse von Neuem unter Beweis stellen zu wollen: Molotowcocktails, detonierende Bomben, Schusswaffen unter dem Laminatboden und natürlich eine unglaubliche Bandbreiten opaker Nachtgestalten jeder Altersklasse. Sicherlich besteht das Figurenarsenal in „'71 – Hinter feindlichen Linien“ aus Stereotypen, vom unbeleckten Jüngling zum durchtriebenen Geheimdienstler, aber wenn man so gekonnt brodelnde Unruhe aus dem Bildschirm in das Wohnzimmer transferieren kann, dann muss das schlichtweg honoriert werden.


6 von 10 sterbende Kameraden


von souli

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