Review: WER DIE NACHTIGALL STÖRT - Menschlichkeit gegen alle Wiederstände



Fakten:
Wer die Nachtigall stört (To Kill a Mockingbird)
USA, 1962. Regie: Robert Mulligan. Buch: Horton Foote, Harper Lee (Vorlage). Mit: Gregory Peck, Mary Badham, Phillip Alford, John Megna, Frank Overton, Rosemary Murphy, Ruth White, Brock Peters, Estelle Evans, Paul Fix, Collin Wilcox, James Anderson, Robert Duvall, Richard Hale u.a. Länge: 129 Minuten. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Der verwitwete Strafverteidiger Atticus Finch lebt während der großen Wirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre mit seinen beiden Kindern in einer kleinen Gemeinde und versucht ihnen trotz der allgemeinen Armut und Perspektivlosigkeit nicht nur ein guter Vater zu sein, sondern sie so zu erziehen,  sich für andere Menschen einzusetzen und nicht nur auf sich selber schauen. Atticus geht mit gutem Beispiel voran, als er die Verteidigung des farbigen Tom Robinson übernimmt, der eine junge, weiße Frau überfallen und misshandelt haben soll. Schon vor dem juristischen ist das öffentliche Urteil bereits gefällt, doch entgegen aller Anfeindungen kämpft Atticus für seinen Mandanten, von dessen Unschuld er überzeugt ist.


                                                                         
                                                                          



Meinung:
Ein Justizthriller oder Gerichtsdrama ist „Wer die Nachtigall stört“, die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Harper Lee, nur zweitrangig. Viel mehr ein Film über Menschlichkeit und Gerechtigkeit, was traurigerweise nicht zwangsläufig mit Rechtsprechung im juristischen Sinne einhergehen muss, wie der Film von Robert Mulligan eindeutig untermauert.


Atticus ist seine Kinder nicht nur moralisch eine Stütze.
Im Fokus der Geschichte steht nicht etwa der eigentliche Star Gregory Peck – der für die Rolle des unerschütterlich-humanen Anwalts Atticus Finch mit dem Oscar als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde – sondern seine beiden Kinder, die er in den durch die Wirtschaftskrise erschütterten USA der 30er Jahre großzieht. Aus ihrer Sicht wird die Handlung praktisch durchgehend erzählt, lediglich in der (erst spät) einsetzenden Gerichtsverhandlung werden sie kurzzeitig zu Statisten. Ein im ersten Moment vielleicht ungewöhnlich scheinender, dennoch genau richtiger Schachzug, um einerseits die Stimmung und gesellschaftliche Lage dieser Zeit aus einer anderen Perspektive zu präsentieren, andererseits die vom Film vermittelte, moralische Botschaft trotz ihrer Deutlichkeit nicht etwa kitschig erscheinen zu lassen, was gar nicht mal eine so einfach Übung ist. Durch die Wahrnehmung und mit der ehrlichen, noch nicht durch verschiedene Aspekte beeinflussten Selbstverständlichkeit für das Richtige von Kindern berührt einen „Wer die Nachtigall stört“ an den richtigen Stellen und spricht durch ihren Mund eine einfache, aber eben absolut unverfälschte Wahrheit aus, wie sie so den Erwachsenen bald abhandengekommen ist. Zwar propagiert der Film überdeutlich und weit entfernt von jeglicher Subtilität sein Anliegen, was man an anderer Stelle schnell mit dem gerne als Metapher genutzten Holzhammer gleichsetzt, doch wird dieser Eindruck eben durch diese entwaffnende Unschuld und den noch natürlichen Sinn für Gerechtigkeit deutlich entschärft.


Ein hoffnungsloser Fall?
Beeindruckend zu sehen ist dies an einer Stelle des Films, als ein lynchbereiter Mob den inhaftierten und schon zweifelsfrei als schuldig vorverurteilten, farbigen Angeklagten einen Prozess „ersparen“ will und nach guter, alter US-Tradition das Gesetz in die eigenen Hände nimmt. Eine gar nicht mal als solches initiierten „Ansprache“ der kleinen Scout, die eben durch diese zwar kindlich-naive, dahinter aber reine, praktisch nicht zu widerlegende Logik besticht, wird der aufgehetzten Meute plötzlich ihr hässliches Antlitz wie in einem Spiegel vorgeführt, woraufhin sie sich fast peinlich berührt auflöst. Das ist im Prinzip so schlicht und genau dadurch so direkt, das trifft exakt den Punkt, der „Wer die Nachtigall stört“ von dem hässlichen Prädikat des aufgesetzten, moralinsauren Kitsches befreit. Was sich der Film trotz alledem leicht vorwerfen lassen muss, ist seine nicht immer optimal genutzte Laufzeit. Mit über zwei Stunden scheint er an manchen Stellen etwas gedehnt und kann die Intensität seiner besten Stellen nicht durchgehend generieren. Zu diesen zählt eindeutig die Gerichtsverhandlung, in der Gregory Peck bald von den grandiosen Nebendarsteller(inne)n, Colin Wilcox als vermeidliches Opfer und Brock Peters als vermeidlicher Täter, in die zweite Reihe beordert wird. Spätestens ab hier lässt einen der Film kaum mehr los und hinterlässt einen trotz seiner tragischen Geschehnissen mit einem rührenden Ende, das ebenfalls locker in die Hose hätte gehen können, wenn nicht so haarscharf, aber präzise die richtigen Töne gespielt werden würden.


Ganz selten etwas (altersbedingt) hüftsteifes, dennoch wunderbares, klassisches Erzählkino, emotional und mit einer wichtigen, menschlichen Message, fast mit Zügen eines modernen Märchens. In einer Gesellschaft von Krähen sind es oft die Nachtigallen, auf die geschossen wird. Manchmal muss man einfach die Augen öffnen oder sie sich öffnen lassen, um sich dessen gewahr zu werden.

7,5 von 10 geheimen Verstecken im Baum

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