Review: INTERSTELLAR - Sind wir Götter?



Fakten:
Interstellar
USA. 2014. Regie: Christopher Nolan. Buch: Jonathan Nolan, Christopher Nolan. Mit: Matthew McConaughey, Anne Hathaway, Jessica Chastain, David Gyasi, Wes Bentley, Bill Irwin, Michael Caine, Casey Affleck, Mackenzie Foy, Topher Grace, Matt Damon, John Lithgow, Ellen Burstyn, David Oyelow, Leah Cairns, Collette Wolfe, William Devane u.a. Länge: 169 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren.
Ab 31. März 2015 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Die Erde stirbt. Die Ernten verderben, überall liegt Staub in der Luft und viele der uns bekannten gesellschaftlichen wie politischen Instanzen gibt es nicht mehr. Das Ende unserer Zivilisation scheint unausweichlich. Doch die NASA wagt einen letzten, großen Versuch, die menschliche Rasse vor dem Aussterben zu bewahren. Ein Wurmloch nahe des Saturns scheint die Pforte in eine neue Galaxis zu sein, in der es eine Welt geben könnte, in der die Menschheit weiterleben könnte. Farmer und Ingenieur Coop tritt dieser Mission bei, muss dafür aber seine Familie im Stich lassen. Deine folgenschwere Entscheidung.





Meinung:
Christopher Nolan ist ein Familienmensch. Mit seinem Bruder Jonathan schreibt er die Drehbücher zu seinen Filmen, die seine Frau Emma Thomas dann gemeinsam mit ihm produziert. Cutter Lee Smith, Komponist Hans Zimmer und Kameramann Wally Pfister (hier, wegen seines Regie-Engagements bei „Transcendence“ ersetzte durch „Her“-Director of Photography Hoyte van Hoytema) gehören ebenfalls zu seiner filmischen Sippe, vertraut Nolan diesen doch seit gefühlten Ewigkeiten, wenn es um die Verarbeitung seines Werkes geht. Auch innerhalb seiner Werke spielt Familie oftmals eine zentrale Rolle. Sein neuster Film „Interstellar“ erinnert teilweise verblüffend an Nolans Mega-Hit „Inception“. In beiden Sci-Fi-Geschichten versucht ein Mann seine Familie wiederzufinden, bzw. wiederzusehen, in dem er in fremde Welten eintaucht, die als unberechenbar gelten, im nolan’schen Kosmos jedoch mit Regeln durchzogen sind, an denen sich die Narration entlang hangeln kann. Waren es in „Inception“ noch die Träume in denen Leonardo DiCaprio als Cobb agiert, so versucht Matthew McConaughey in „Interstellar“ als Ingenieur Coop (man achte auf die ähnlichen Namen) mittels einer galaktischen Expedition zu einem Wurmloch, den Untergang unserer Zivilisation zu verhindern.


"2001" lässt grüßen
Nolan inszeniert den Zerfall unserer Welt für die Verhältnisse eines Blockbuster fast schon obskur dezent. Statt großen Radau einzufangen ist der Kollaps längst Alltag geworden. Es sind keine feindlichen Aliens oder berstende Gebirge und Seen, die der Menschheit zu schaffen machen, sondern verdorbene Ernten, Staubluft und Ressourcenmängel. Wie Nolan dies einfängt ist durchaus beachtlich, weil er selbst Momente der Not und Gefahr kontrolliert inszeniert und nicht auf den aktuell grassierenden Overkill-Modus andere Produktionen setzt, obwohl es hier ohne Wenn und Aber um die schleichende Vernichtung unserer Existenz geht. Konträr dazu fokussiert sich Nolan aber ohne Ausnahme nur auf die Familie von Ingenieur und Farmer Coop. Im ersten Drittel - die vor allem Zuschauer entkräften wird, die gehofft haben „Interstellar“ wäre durch und durch opulentes Schauwertkino – versucht Nolan die Beziehung von Coop zu seiner Familie, im Spezielle seine kleine Tochter Murphy (Mackenzie Foy) dem Publikum näher zu bringen, schießt allerdings über das Ziel hinaus. Coop ist so auf seine Tochter fixiert, dass andere Familienmitglieder wie sein Sohn oder sein Stiefvater wie unzweckmäßige charakterliche Randnotizen erscheinen. Zumindest der Sohnemann erhält im späteren Verlauf mehr Gewicht innerhalb der Erzählung. Dennoch wirkt die emotionale Konstellation zu Beginn sehr unausgeglichen.


Die Suche nach einer neuen Heimat ist gefährlich
Dafür scheint Nolan nach „The Dark Knight Rises“ in Sachen Erzählung etwas dazu gelernt zu haben, denn obwohl „Interstellar“ mit fast drei Stunden Laufzeit  zu Buche schlägt, geht es relativ (ich wiederhole: relativ) rasch in den Weltraum. Dort erwartet das Publikum dann selbstverständlich große Bilder, die von Hans Zimmer orchestralem Orgel-Score mal gut, mal eher überladen akustisch ausstaffiert werden. Dennoch, so schöne kosmische Bilder gab es zu Letzt in Danny Boyles „Sunshine“ zu bestaunen und zu bewundern. Dass Nolan dabei auch immer wieder gerne an Stanley Kubricks Space-Meisterwerk „2001“ erinnert, sei ihm gegönnt, auch wenn Kubricks Film eindeutig die prachtvollerer Opulenz besitzt. Es lässt sich aber nicht nur optisch nicht von der Hand weisen, dass Nolan „2001“ hier und da zu Rate zieht. Dabei gelingt ihm sogar so etwas wie eine liebevolle wie kecke Parodie, denn auch „Interstellar“ muss es natürlich einen Super-Computer geben. Dieser erweist sich zunächst als dumpf aussehende Metallkiste, die, wenn sie sich fortbewegt, an einem wandelnden Cola-Automaten erinnert. Doch diese Blechkiste, genannt TARS, gelingt es etwas in Nolans Films zu integrieren, was man so von ihm gar nicht gewohnt ist: Frohsinn. Natürlich bleibt „Interstellar“ todernstes Weltretterkino, aber die aparten komödiantischen Spitzen von TARS sorgen zumindest kurzzeitig für etwas Auflockerung in einem filmischen Kosmos der großen Bedeutungen und Gefühle


Das Weltall: so mysteriös wie gigantisch
Die Bedeutungen die in „Interstellar“ auf das Publikum eindonnern sind mannigfaltig. Fragen der Philosophie, Physik und Ethik vermischen sich da schon einmal zu einem zähflüssigen Brei, der Szene für Szene vereinnahmt und die Narration teilweise so sehr ins Stocken bringt, dass sich zwei Minuten „Interstellar“ wie 20 anfühlen. Das wäre kein Problem, würde Nolan es nur schaffen die Faszination von Wurmlöchern, Zeittheorien und Opferbereitschaften ständig aufrecht zu erhalten. Doch immer wieder bricht sein Film unter seinem selbst aufgeladenen Ballast zusammen. Da helfen dann auch die mehr zweckmäßig eingesetzten money shots nichts und auch wenn Nolan die Frage nach der eigenen Courage sich selbst zu opfern in den (Welt-)Raum wirft, so ist die Antwort, die er bereit hält, weder sonderlich innovativ, noch überraschend oder gar für den Film notwendig. „Interstellar“ ist einfach überladen und stellt sich und der Faszination, die Nolans Werk ohne Zweifel besitzt, immer wieder selbst ein Bein. Das Ergebnis: ermüdendere drei Stunden wird es dieses Jahr wohl nicht mehr im Kino zu erlebe geben.


Coop muss seine Familie verlassen
Dabei besitzt „Interstellar“ durchaus Ansätze und Maßstäbe die wirklich grandios sind. Alleine das Ende hat es schon in sich. Zwar wirkt die – nennen wir es mal Auflösung – seltsam konstruiert und unnötig verdreht, aber sie macht auch klar, dass es bei Nolan keinen Gott gibt. Während bei Kubricks „2001“ alles endet mit der Wiedergeburt, also mit einer göttlicher Fügung, so sind es in „Interstellar“ die Menschen selbst, die sich über ihr eigenes Schicksal und ihre eigene Existenz hinweggesetzt haben. Das ist so passend wie herrlich grüblerisch. Gott schuf unsere Welt, wir erschufen Welten. Die großen Fragen die bleiben sind: War Gott ein Mensch und Sind wir nicht längst zu Göttern geworden? Großes Buhei für einen Blockbuster, der sich für diese Art von Fragen nicht ganz so stark interessiert, wie für die alte Leier des „Wie weit würdest du für deine Familie gehen?", aber sie immerhin populär als eine Art Endpunkt benutzt.


Dies wird wahrscheinlich auch mit ein Grund sein, warum „Interstellar“ gewiss vielen Fans des schnelllebigen Schauwertkinos aus dem Kinosaal vergraulen wird. Nolans Sci-Fi-Abenteuer positioniert sich irgendwo zwischen „2001“ und „Sunshine“. Es hat seine eigene, kleine Nische gefunden. Dort kann es sich aufblähen, zum Erretter des intelligenten Massenkinos. Auch wenn es vielleicht doch nicht mehr ist, als ein technisch herausragendes Stück Unterhaltung, dessen Defizite so unübersehbar sind, wie die Sterne bei Nacht.


6 von 10 „Klopf, Klopf“-Witzen

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