Review: DIE MUSE - Erfolg erfordert Opfer


Fakten:
Die Muse
BRD, AT, 2011. Regie & Buch: Christian Genzel. Mit: Thomas Limpinsel, Henriette Müller, Jean-Luc Julien, Peter O. Kellerer u.a. Länge: 91 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Als Video on Demand erhältlich.


Story:
Im Parkhaus wird Katja hinterrücks von einem Mann betäubt. Sie erwacht in einem selbstgebauten Verlies im Keller seines Hauses. Der Mann, der sich ihr als Peter Fischer vorstellt, hat allerdings keine finanziellen, sexuellen oder sonst gängige Motive für die Entführung. Er ist Schriftsteller und hat Katja als Muse für sein neuestes Werk auserkoren. Warum, erfährt sie zunächst nicht. Durch ihre Anwesenheit erhofft er sich die nötige Inspiration, um sein längst überfälliges Buch endlich zu beenden.




Meinung:
„Die Muse“ ist das Spielfilmdebüt des in Österreich lebenden, ursprünglich aus Kassel stammenden Regisseurs und Autors Christian Genzel, der zuvor lediglich einige Kurzfilme inszenierte. Bereits 2011 fertiggestellt ist der Film seit kurzer Zeit als Video on Demand erhältlich und somit erstmals für die breite Öffentlichkeit zugänglich. Solch einheimische Independent-Filme, gerade mit Genrehintergrund, haben es oftmals nicht leicht. Im Kino ist dafür kein Platz, selbst ein Lichtblick wie Andreas Marshall’s liebevolle Giallo-Hommage „Masks“ erschien erst mit deutlicher Verspätung überhaupt auf DVD. Absurd: Im Gegenzug wird dafür (allerdings mit einem Studio wie Warner Brothers und sinnloser 3D-Konvertierung im Rücken) so unzumutbarer Schrott wie der Funkturm-Grusel-Heuler „Lost Place“ bundesweit über die Leinwände gejagt. Unfair geht die Welt zugrunde, gerade im Filmgeschäft. Um nicht zu sehr abzuschweifen: „Die Muse“ ist immerhin einer dieser Filme, von denen wir hierzulande – ganz grundsätzlich – viel zu wenige haben. Genrekino, was fast jede halbwegs ernstzunehmende Filmnation pflegt, nur wir halt nicht.


Kaum Auslauf, aber Einzelzelle. Immerhin.
Um nicht falsche Erwartungshaltungen zu wecken: „Die Muse“ ist zwar Genre, allerdings nicht aus der Horrorecke. Da schrillen meist eh die Alarmglocken, bedenkt man die Auswürfe von Billig-Filmern wie Olaf Ittenbach oder Uwe Boll-Kronprinz Marcel Walz („Plastic Surgery Massacre“), der jüngst sogar mit dem Sequel zu „Seed“ direkt in dessen Fußstapfen treten durfte. Von so einer Grütze ist Genzel schon rein technisch um Lichtjahre entfernt, worauf noch näher eingegangen wird. Ein Kammerspiel-artiger Psychothriller, bald mehr Psychodrama, dessen Prämisse eine Art Seitenwechsel zu der Stephen King Verfilmung „Misery“ darstellt. Damals wurde ein Schriftsteller zur Geisel einer krankhaften Verehrerin und musste unter deren strenger Regie sein Werk nach ihrem Gusto vollenden. Nun gerät eine junge Frau in die Fänge eines Autors, der nur durch ihre unfreiwillige Anwesenheit sich die Inspiration verspricht, um sein ersehntes Meisterstück zu Papier zu bringen. Gar kein schlechter Ansatz, vor allem wie Genzel das angeht. Statt eines offensiv zur Schau gestelltem, extrovertierten Folterknechts mit Dachschaden in fetten Lettern auf die Stirn getackert, präsentiert er seinen Kidnapper als unscheinbaren, beunruhigend sanften Mann aus der Nachbarschaft, der lange nur durch seine eigentliches Vorhaben, weniger durch seine menschliche Präsenz wie ein gefährlicher, gestörter Geist wirkt. Thomas Limpinsel gelingt eine wohl dosierte, meist relativ glaubwürdige Darstellung, kann besonders in den Momenten punkten, in denen man als Zuschauer mehr über seine Figur und deren Innenleben erfährt. Hinter dem erst nur als schlicht geisteskrank einzustufenden Kerl steckt eine Geschichte, ein Leben voller Rückschläge, Zurückweisungen, Enttäuschungen, ambitionierter Ziele und der harten Realität, die ihn immer dann einholt, wenn Zahltag ist.


Klingt alles überdurchschnittlich hintergründig und interessant nuanciert, zumindest Letzteres lässt sich nicht gänzlich verleugnen. Den Willen und Ansatz lässt „Die Muse“ deutlich erkennen, die Gratwanderung zwischen Thriller und Drama gelingt ihm – trotz aller Bemühungen – leider nicht im befriedigenden Maße. Als Drama ist es dann doch letztendlich viel zu oberflächlich, kratzt interessante Ideen an, vollendet sie jedoch nicht. Als Thriller bietet er viel zu wenig Drive, speziell im teilweise arg gestreckten Mittelteil, und dann dort eben nichts, was überrascht, übermäßig die Nerven strapaziert oder nicht anderswo schon deutlich besser verkauft wurde. Hoffnung auf den entscheidenden Kick am Ende – womit nicht zwangsläufig der heute fast obligatorischer Twist gemeint ist – bleiben verwehrt, die eigentlich wohl als leicht perfide erdachte Schlusspointe kitzelt auch nicht richtig. Insgesamt enthält „Die Muse“ erstaunlich viel Potenzial, weiß dieses jedoch nicht richtig zu nutzen. Auf weitere Arbeiten von Christian Genzel darf man trotzdem gespannt sein, denn für einen Low-Budget-Debüt-Film hat das handwerklich alles Hand und Fuß. In der Hinsicht lässt sich dem nichts vorwerfen, kein aufwendiger produzierter TV- (und teilweise sogar Kino)Film sieht viel besser aus, Talent hat der Mann ohne Frage. Sicher auch das Engagement, nur zünden seine Ansätze hier leider noch nicht. Aller Anfang ist schwer, nur hier sieht man definitiv, dass noch Luft nach oben ist. Wer kann das von Marcel Walz und Kumpanen behaupten?

4,5 von 10 potenziellen Bestsellern

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