Review: DAS GRAUEN KOMMT UM ZEHN - Traumjob Babysitter



Fakten:
Das Grauen kommt um Zehn (When A Stranger Calls)
USA, 1979. Regie: Fred Walton. Buch: Steve Feke, Fred Walton. Mit: Charles Durning, Carol Kane, Colleen Dewhurst, Tony Beckley, Rutanya Alda, Carmen Argenziano, Ron O’Neal, Rachel Roberts u.a. Länge: 98 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Diese Nacht als Babysitter wird Jill lange verfolgen. Kurz nachdem das Ehepaar Mandrekis das Haus verlassen hat, klingelt das Telefon. Der unbekannte Anrufer stellt eine Frage: „Haben sie nach den Kindern gesehen?“ Der Auftakt zu einer grauenvollen Nacht, die mit einem Blutbad endet. Sieben Jahre später ist der Täter aus seiner Heilanstalt entflohen und Privatdetektiv Clifford, einst Ermittler in dem Fall, wird auf den Flüchtigen angesetzt. Er soll ihn nicht nur finden, er soll ihn zur Strecke bringen. Doch am Ende wird sich der Kreis schließen…





Meinung:

„Haben Sie nach den Kindern gesehen?“

Was für ein Auftakt. Die ersten zwanzig Minuten von „Das Grauen kommt um Zehn“ sind nicht umsonst legendär und haben Genregeschichte geschrieben. Wenn man selbst von Otto Waalkes parodiert wird, hat man es wohl geschafft.


Und das für die paar Piepen...
Ein John Carpenter zu seinen besten Zeiten (also genau damals) hätte es kaum besser machen können. Babysitterin Jill wird innerhalb weniger Minuten in einen verstörenden Albtraum involviert, das immer wieder klingelnde Telefon zerrt an den Nerven, das räumlich eigentlich großzügige Haus wird zum beengten Verlies, das Ticken der Wanduhr erscheint wie das Pendel des Todes, das lodernde Kaminfeuer wirft unheilvolle Schatten und immer wieder… dieses verdammte Telefon…! Klaustrophobische Panik greift um sich, in wunderbar schattierten Bildern und beklemmend vertont. Ohnehin ist der Score von Dana Kaproff ein unaufdringliches, zeitgleich enorm prägnantes Zuckerstück der kalten Angst. Was Fred Walton hier zu Beginn entfacht, ist Suspense-, Terror- und Home-Invasion-Kino, ganz simpel und wahnsinnig effektiv runtergebrochen, komprimiert auf schlappe 20 Minuten, inklusive Vorspann. Hammerhartes Teil, atmosphärisch und von seiner schlichten Idee wie der erstklassigen Umsetzung kaum zu toppen. Wenn das jetzt das generelle Niveau von „Das Grauen kommt um Zehn“ wäre, mein lieber Herr Gesangsverein, das gibt Fingernägelsalat, zugenagelte Kinderzimmer und aus dem Fenster fliegende Telefone. Allein dieses Szenario wäre spielend in der Lage, einen ganzen Film zu tragen. Natürlich nur in dieser Form. Wie es nicht geht, bewies das stumpfe Remake „Unbekannter Anrufer“ von 2006, der sich darauf begrenzte, dafür an seinen wesentlichen Dingen gnadenlos scheiterte.


„Ich will mich mit ihrem Blut beschmieren!“


"Darf ich mal telefonieren, dauert auch nicht lange?!"
Das Original scheitert – mehr oder weniger – an dem nun folgenden Szenenwechsel, wenn der Plot einen siebenjährigen Zeitsprung hinlegt, Jill (vorerst) von der Bildfläche verschwindet und das anonyme Grauen ein Gesicht bekommt. Im Mittelpart hängt „Das Grauen kommt um Zehn“ - absolut unnötig – heftig durch, die Spannungskurve knickt erheblich ein. Zwar kann die Inszenierung gewisser Schlüsselmomente durchaus gefallen und rudimentär an die Qualität des ersten Drittels anknüpfen, nur kann die Dramaturgie keinesfalls mithalten. Stalking, ein heute sehr relevantes Thema, tritt eher in den Vordergrund, wie die Jagd eines verbissenen Ermittler (gut wie immer: Charles Durning) nach der gestörten Bestie. Deren Terror wird allerdings arg an die Kette gelegt, die einschnürende Stimmung verliert sich in einem behäbigen Tempo und eigentlich einem fast kompletten Bruch der Handlung, der in dieser Form schon überrascht. Killer-Darsteller Tony Beckley hält sich angenehm zurück, agiert nicht als überzogener Psycho-Hampelmann, wirkt dennoch lange nicht so erschreckend wie als bedrohliche Stimme am anderen Ende der Leitung oder als Silhouette an der Wand. Ambitioniert, aber unglücklich, so könnte man das nun Gezeigte bezeichnen. Das vorher so grandios aufgebaute droht zu kippen und den Film in reinen Durchschnittgefilden kentern zu lassen.


Macht Sinn: Taschenlampe trotz ausreichender Beleuchtung.
Kurios, dass nun ausgerechnet wieder (knapp) zwanzig Minuten dies verhindern. Im ausgedehnten Finale gelingt es „Das Grauen kommt um Zehn“ beinah, an den furiosen Start anzuknüpfen. In Gänze selbstverständlich nicht, doch es fühlt sich ähnlich an. An der Inszenierung krankte es eh nie, eher am Skript, an der Grundspannung, der Bedrohung. Genau da knüpft das letzte Drittel an und schlägt die doch noch die Brücke zum Anfang, die lange wackelte und bröckelte. Jetzt ist alles wieder da: Das Telefon, die schaurige Stimme, die Panik, die Angst, die eigenen vier Wände, die sich praktisch auf einen zu bewegen. Es lauert wieder, nachdem es Auslauf genossen hat. Betrachtet man Start und Finish, man müsste sich verwundert am Kopf kratzen, warum dieser Film nicht uneingeschränkt zu den absoluten Perlen des Genres zählt. Der Schlusspunkt kommt zwar etwas abrupt und wirkt vielleicht aus heutiger Sicht unspektakulär, allerdings war das zu dieser Zeit nicht unüblich, daher kein Problem. Sein Potenzial – ach was, seine klaren Fähigkeiten – lässt dieser Film klar in der Mitte auf der Strecke, wofür man jeden Beteiligten ohrfeigen müssten. Sonst gäbe es hier nicht viel zu kritisieren und diskutieren.


Seinen Status als kleiner Klassiker hat „Das Grauen kommt um Zehn“ ja inne und sicherlich verdient. Viel zu gut und unvergessen ist er auf seinen Höhepunkten, gleichzeitig bald banal dazwischen. Krasse Mischung, schade.

„Warum haben Sie nicht nach den Kindern gesehen?“

6,5 von 10 unbekannten Anrufern

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