Review: VERA DRAKE – Private Abtreibungen und ihre Folgen


Fakten:
Vera Drake
GB, Frankreich. 2004. Regie und Buch: Mike Leigh. Mit: Imelda Staunton, Philip Davis, Alex Kelly, Daniel Mays, Peter Wight, Jim Broadbent, Sally Hawkins, Ruth Sheen, Eddie Marsan u.a. Länge: 126 Minuten. FSK: Ab 12 Jahren freigegeben. Auf DVD erhältlich.


Story:
Vera Drake ist eine hochsympathische, etwa 50-jährige Frau, die in London um 1950 lebt. Sie kümmert sich um ihre Familie, um Nachbarn und um junge, schwangere Mädchen, denen sie hilft, indem sie ihnen illegal das ungeborene Kind abtreibt. Als aber eines der Mädchen beinahe stirbt, taucht die Polizei bei Vera auf und die Katastrophe für sie und ihre Familie beginnt.




Meinung:
Anfang der 50er Jahre. Vera Drake lebt in London. Langsam, ganz langsam lernen wir diese Vera Drake kennen und lieben. Viel Zeit lässt sich Mike Leigh, uns eine lebensfrohe, aktive, ältere, kleine Frau nahezubringen, immer ein Liedchen auf den Lippen, für jeden ein offenes Ohr und herzensgut. Sie kümmert sich um ihre Familie, um kranke Nachbarn. Sie verdient durch Putzen Geld dazu. Wir lernen auch Veras Familie kennen und auch das Glück, das der Familie passiert durch eine Verlobung ihrer Tochter. Und sie hilft jungen Mädchen. Jungen Mädchen, die ungewollt schwanger geworden sind, das Kind aber nicht austragen wollen und auch nicht können. Die aber auch nirgendwo anders hingehen können. Aus Geldmangel, aus Scham, aus Angst. Und Vera hilft ihnen.


Die Tochter will heiraten, das Glück scheint vollkommen.
Vera Drake nimmt illegale Abtreibungen vor. Nicht für Geld, vielleicht nicht mal im richtigen Unrechtbewusstsein. Sie sieht das einfach nur als Hilfe für die Mädchen an. Das geht auch lange gut, es ist nur ein kleiner Eingriff, mit Hilfe von heißem Wasser, etwas Seife und einem Gummischlauch. Aber eines Tages stirbt eines ihrer Mädchen beinahe an diesem Eingriff und die Polizei muss sich damit beschäftigen, was große Auswirkungen auf Veras Glück und das ihrer Familie haben sollte. Besonders toll ist der Spannungsbogen gelungen. Wie bereits erwähnt lässt sich der Film besonders anfangs viel Zeit, um das Familienglück der Drakes und besonders die sympathische Vera näher kennenlernen zu können. Doch nach und nach erscheinen immer wieder mal kleine Risse in diesem Glück. Erst klein, dann, ebenfalls langsam, immer größer – bis dann eine Sturmflut auf die Familie zurast, von der sie vollkommen unerwartet getroffen wird und in eine mögliche Katastrophe geschleudert wird.


Der Film stellt anhand dieser Geschichte um Vera Drake viele interessante Fragen. Ist ein Embryo schon Leben? Ist er es noch nicht? Und wie darf man damit umgehen. Wie ginge es den werdenden Müttern mit ihren ungewollten Kindern, wenn es keine Vera Drake gäbe? Und wie geht es ihnen eben mit ihr? Und wie werden die „Täter“, also Vera, aufgenommen und behandelt. Macht eine solche Tat, begangen aus Hilfsbereitschaft und Mitleid, jemanden zu einem bösen Menschen? Und wie steht das Gesetz dazu. Überhaupt, was ist Recht? Das, was in Gesetzbüchern steht? Oder das, was moralisch richtig ist. Aber auch da kommen neue Fragen. Was ist dann moralisch richtig? Die Abtreibung, auch auf die Gefahr hin, dass eines der Mädchen sterben könnte? Und anhand der Reaktionen der diversen Protagonisten werden diese Fragen aufgearbeitet. Allerdings nicht wertend, sondern relativ neutral. Die Positionen werden dargestellt, ohne die eine richtige benennen zu können.


Aber Veras Geheimnisse scheinen sie einzuholen.
Natürlich hat man Mitleid mit Vera Drake, wenn sie, auch ein wenig naiv, nur das Beste für die Mädchen will. Aber auch hier muss man bedenken: war es wirklich richtig, was sie tat? Hat sie verdient, was nach Auffliegen ihres Tuns auf sie zukommt? Schwierig, wirklich schwierig. Ich selbst bin mir nicht sicher, zu viele Sichtweisen, die alle irgendwo ihre Berechtigung haben, werden hier dargestellt. Wie dem auch sei, Imelda Staunton, den meisten wohl bekannt als Dolores Umbridge aus dem fünften Harry Potter-Film, spielt Vera Drake in all ihren Facetten. Und sie tut es so gut, dass sie so ziemlich jeden wichtigeren Preis einheimsen konnte, darunter den Darstellerpreis in Venedig, bei den BAFTAs, den EFAs und beinahe jeden Kritikerpreis, den es gibt.


„Vera Drake“ ist insgesamt ein sehr gutes, sich langsam aufbauendes Drama mit der ausgezeichneten Hauptdarstellerin Imelda Staunton, das den Zuschauer emotional trifft und empört machen kann. Aber es bewirkt auch, dass man plötzlich heftig über die aufgeworfenen Fragen nachdenkt und sich die komplizierte Situation, noch dazu in den 50er Jahren, einer Zeit, in der Abtreibungen an sich sehr kritisch gesehen wurden, vor Augen hält. Was ist richtig, was ist falsch? Gerade in diesem Fall eine außerordentlich schwierige Frage.


8 von 10 ausgezogene Schlüpfer

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