Review: SONNENAUFGANG – LIED VON ZWEI MENSCHEN – Liebe und Dramatik zwischen Stadt und Land



Fakten:
Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen (Sunrise – A song of two humans)
USA. 1927. Regie: Friedrich Wilhelm Murnau. Buch: Carl Meyer. Mit: George O’Brien, Janet Gaynor, Bodil Rosin, Margaret Livingston, J. Farrell MacDonald, u.a. Länge: 91 Minuten. FSK: Ab 6 Jahren freigegeben. Auf DVD (meist gebraucht) erhältlich.


Story:
Während die Frau zu Hause auf das Kind aufpasst, beginnt ihr Ehemann eine Affäre mit einer Dame aus der Stadt, die ihren Liebhaber auffordert, seine Ehefrau im See zu ertränken und mit ihr in die Stadt zu ziehen. Der Mann geht auf den Vorschlag ein und fährt mit seiner ohnehin schon durch die Affäre extrem belasteten Frau am nächsten Tag auf den See hinaus…




Meinung:
Friedrich Wilhelm Murnau sollte eigentlich allen filminteressierten Menschen ein Begriff sein. Vielleicht haben viele zwar keinen Film von ihm gesehen, aber manch einer hat schon einmal etwas von der Murnau-Stiftung gehört, die sich der Archivierung, der Restauration und der Veröffentlichung großer, alter Filme annimmt. Und wenn selbst das nicht der Fall ist, dann muss der Name fast schon zwangsläufig gefallen sein, wenn es um die größten und einflussreichsten Regisseure aller Zeiten geht. Murnau gehört hier nämlich eindeutig dazu. Warum, das würde hier klar den Rahmen sprengen, aber nicht nur für die damalige Zeit herausragende Kamerafahrten oder die schier unglaubliche Intensität seiner Filme untermauern diesen Ruf. Nun, sein Film „Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen“ scheint ein eher normaler Film des experimentierfreudigen und durch den Expressionismus stark beeinflussten Regisseurs zu sein.


Verbotene Liebe auf dem Land...
Vielleicht liegt es daran, dass dies sein erster in den Vereinigten Staaten gedrehter Film ist und er als Angestellter eines Hollywoodstudios nicht ganz so sehr seinen Stil durchziehen konnte, wie er es vielleicht gewollt hat (auch wenn behauptet wird, er hatte weitestgehend freie Hand). Denn die Geschichte hier, es ist eine Geschichte die nicht spektakulär erscheint, sondern einfachste und doch wundervolle Gefühle zeigt. Liebe und Lachen, Angst und Verzweiflung, Jähzorn und blinde Wut. Gefühle, die relativ subtil daherkommen und den Zuschauer doch Treffen. Besonders die Liebesbeziehung zwischen dem Ehepaar auf ihrem Ausflug in die große Stadt, die erscheint so echt, so warm und gefühlvoll, wie man sie nur selten auf der Leinwand sieht. Natürlich ist, da der Film ein Stummfilm ist, das Schauspiel anders, als man es heute gewohnt ist, viel direkter. Aber das schelmische Lächeln der beiden Liebenden zum Beispiel, als sie der vermeintlichen Strafe im Foto-Atelier entkommen sind, das zeugt einfach von wahrer Liebe und dürfte jedes Herz zum Schmelzen bringen.


Besonders toll ist Murnau außerdem der Wechsel zwischen Liebesfilm, Thriller, Drama, Komödie und Katastrophenfilm gelungen. Scheinbar spielend leicht verbindet er in unterschiedlichen Abschnitten die einzelnen Genres. Und vor allem tut er das unheimlich plausibel! Wo andere schnell mal einfach verschiedene Szenen aneinanderreihen, da lässt er seinen Schauspielern Zeit, ihre Beziehungen zu entwickeln. Er begleitet sie einfach und schaut, was passiert. So zumindest scheint es. Und obwohl die Figuren nicht reden, wirken sie so unheimlich bekannt, wir verstehen sie, können ihr Handeln nachvollziehen. Immer und zu jederzeit.
Auch technisch ist ihm der Film sehr gut gelungen mit hervorragend umgesetzten Vorstellungs- und Erinnerungssequenzen oder einer hervorragend inszenierten Naturkatastrophe.


...und erlaubte Liebe in der Stadt.
Tja, und dann ist da noch die Stadt. In „Sonnenaufgang“ ist sie ein, vielleicht das zentrale Motiv. Zum einen (natürlich, in den goldenen Zwanzigern) groß und pompös in ihrer Ausstattung, dass sie, neben Metropolis, wohl zu den bekanntesten Kulissen der damaligen Zeit gehören dürfte. Aber dann hat die Stadt auch zwei weitere Funktionen. Einerseits ist die Stadt auch hier Ort des Frevels, der Lust, des Lasters. Symbolisiert durch die „Frau aus der Stadt“, die aufs Land kommt und den armen Mann verführt und überzeugt, seine eigentlich geliebte Frau zu töten. Aber dann, wenn nach dem (zum Glück) gestoppten Mordversuch Mann und Frau in die Stadt fahren, dann ist sie gar nicht so böse, so unheimlich. Sie ist ein Ort der Freude, ein Ort des Glücks. Gar nicht so sehr Moloch wie in anderen Filmen und wie man beim Expressionisten Murnau vermuten könnte. Nein, denn ausgerechnet in der Stadt keimt die alte, verloren geglaubte Liebe zwischen den beiden wieder auf. Hier haben sie Spaß. Und dieser Spaß endet erst, als das Ehepaar die Stadt wieder verlässt. Dann zieht ein Sturm auf. Die Natur, das Land und nicht die Stadt als das Böse. Außerdem wirkt die Stadt äußerst realistisch. Hier werden viele kleine Details gezeigt, die das Großstadtleben eindrucksvoll zur Schau stellen, die diese berühmte Großstadtdynamik gepaart mit technischem Fortschritt veranschaulichen.


Murnaus „Sonnenaufgang“ ist Gefühlskino par excellence. Eine solche Bandbreite an verschiedenen Emotionen ist wohl in kaum einem Film bisher zur Geltung gekommen. Der Zuschauer leidet und fühlt mit den Protagonisten mit und wegen des Endes umso schockierter. Weil er davor das Ehepaar so sehr in sein Herz geschlossen hat. Die Liebe zwischen Mann und Frau lässt wohl jeden dahinschmelzen, die dramatischen Elemente bringen wohl jeden zum Weinen und Erschaudern. Und viele kleine Szenen bringen uns zum Lachen. Ein Film, der alles kann und alles schafft. Perfektion.


10 von 10 besoffene Schweine

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen