Review: BYZANTIUM - Die Bürde der Unsterblichkeit



Fakten:
Byzantium
Groß Britannien, Irland, USA. 2012. Regie: Neil Jordan. Buch: Moira Buffini. Mit: Saoirse Ronan, Gemma Arterton, Sam Riley, Johnny Lee Miller, Daniel Mays, Maria Doyle Kennedy, Warren Brown, Tom Hollander, Thure Lindhardt, Caleb Landry Jones u.a. 118 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Ab 27. Dezember auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Seit über 200 Jahren wandeln Clara und ihre Tochter Eleanor über die Welt und ernähren sich vom Blut der Menschen. Während Clara ihr Leben genießt missfällt ihrem Nachwuchs zunehmend das Vampirdasein und möchte sich einmal in ihrem Leben länger niederlassen. Als die beiden in einer kleinen Küstenstadt untertauchen, erkennt Eleanor, dass ihr dieser Ort aus ihrem kurzen Leben als Mensch bereits vertraut ist.





Meinung:
Neil Jordan meldet sich zurück. Nach dreijähriger Pause nicht nur als Regisseur, sondern gleichzeitig in der Welt der Vampire. Fast 20 Jahre nach seinem Welterfolg "Interview mit einem Vampir" kommt nun "Byzantium", jedoch ohne bundesweiten Kinostart direkt für den Heimkinomarkt. Betrachtet man jetzt zum Jahresende die Kinostarts 2013, etwas verwunderlich und im noch größeren Maße ärgerlich. Sequels, Remakes, Reboots, Multimillionen-Mega-Flops, viel Durchschnitt bei groß angekündigten "Highlights", ausgerechnet dieser Film darf gar nicht erst an den Kinokassen mitmischen. Wahrscheinlich ist er einfach nicht das, was allgemein als massenkompatibel bezeichnet wird. Bewusst. Gerade deshalb mehr als nur den neugierigen Blick wert.


Clara und Eleanor haben keine Lust auf Vergnügen
Um konkreter zu werden: "Byzantium" ist einer der besten Blutsauger-Filme dieses Jahrtausends. Übertroffen nur noch von den (ebenfalls) ungewöhnlichen Genrevertretern "Shadow of the Vampire", "So finster die Nacht" und "Durst". Was sie alle gemeinsam haben: Sie begegnen der oft erzählten Vampirthematik auf anderen Wegen, verlassen sich nicht ausschließlich auf die gängigen Zutaten, interpretieren den Mythos eigensinnig und schaffen ihr eigenes, kleines Universum. Zudem sind es keine reinen Genrefilme, die in erster Linie die Horrorfanfraktion ansprechen. "Byzantium" erinnert in seiner melancholisch-sehnsüchtigen Grundstimmung am ehesten an "So finster die Nacht", mit einer augenscheinlich kleinen Prise "Twilight", wobei sich dieser Eindruck schnell zerschlägt. Während Bella und Edward sich anschmachteten und vor sich hin glitzerten, schafft Neil Jordan eine Art Coming-of-Age Tragödie mit märchenhaften Anleihen, Subtext und bittersüßen Momenten, voller Fantasie und leicht poetischer Bildsprache. Bedacht in seinem Tempo und ausgeklügelt in seiner Erzählweise wird viel Wert auf die Charaktere gelegt, gezielt natürlich auf die "junge" Eleanor (Saoirse Ronan, wie oft zerbrechlich und doch stark wirkend) und ihre "Begleiterin" Clara (Gemma Arterton, diesmal nicht nur, aber auch sexy). Auf einer rastlosen Flucht vor mysteriösen Verfolgern verkörpern sie zwei völlig unterschiedliche Frauentypen. Eleanor als eher introvertierter "Teenager" im Zwiespalt zwischen ihrer (unnatürlichen) Existenz und dem, was diese von ihr verlangt, Clara als starke Beschützerin, die im ältesten Gewerbe der Welt die wohl älteste Aktive der Welt ist. Während die Eine sich nur von denen ernährt, deren Tage praktisch eh schon gezählt sind, greift die Andere immer auf die zurück, die es "verdient" haben. Wieso, wird später erläutert. Erstklassige gespielt, von beiden.


Hm, Lippenstift aus frischer Leber. Leider nicht Kussfest.
Nach einem interessanten - wenn auch nicht großartigen Auftakt - zündet "Byzantium" speziell in der zweiten Hälfte, wenn Jordan in Rückblende immer wieder in die Vorgeschichte der Frauen eintaucht, um das vorher Gezeigte zu untermauern und ihm seine Relevanz zu geben. Nun erfahren wir, wer Clara ist, vor allem WARUM sie die ist, die sie ist...und die sind, die sie ISST. Unterdrückung, Demütigung und Missbrauch hat sie erleiden müssen, bis sie (versehentlich) in einen Kreis vorstieß, der exklusiv der männlichen Dominanz vorbehalten war. Sie sprengt das Gefüge, bricht die Regeln und muss dafür 200 Jahre lang untertauchen. Emanzipation im Mantel des Genrefilms, ein klares Statement von Autorin Moira Buffini, die auch das zugrundeliegende Bühnenstück verfasste. Jordan setzt es (leider eben nicht) für die große Leinwand um und kann dabei seine Stärke im mystischen Bereich ausspielen. Schauderhaft schön und absolut einprägsam: Der Ursprungsort des Bösen. Eine Höhle in einem Felsmassiv, umgeben von "blutenden" Wasserfällen und Schwärmen von Fledermäusen, in dessen Inneren etwas lauert. Nicht gesichtslos, dennoch anonym. Vampire können sich nicht gegenseitig erzeugen, sie werden nur dort geschaffen, durch ES. Diese Vampire sind immun gegen Sonnenlicht, interessieren sich einen Dreck für Knoblauch und christliche Symbole, schlafen nicht in Särgen und bedienen sich als Waffe nicht ihrer Eckzähne, sie "zapfen" die Beute mit dem Fingernagel an. Viel Stilbruch, der "Byzantium" seine ganz eigene Identität gibt.


Diesen eigenwilligen Ansätzen und der fachmännischen Inszenierung ist es zu verdanken, dass dieser Film nicht nur noch ein Vampirfilm ist, die inzwischen (mal wieder) aufgrund von Überfütterung für Ermüdungserscheinungen beim Publikum sorgen. Das ist ein stimmungsvoller, intelligenter und vielschichtiger Beitrag, der nicht zwangsläufig beim durchschnittlichen Genreliebhaber ankommen wird. Dafür sollten speziell die Leute aufmerksam werden, denen der übliche Output zu monoton und beliebig ist oder um Horrorfilme grundsätzlich einen Bogen machen. "Byzantium" ist nicht perfekt, aber anders und das sehr gekonnt. Ein kleines (echtes) Highlight dieses Jahres, das leider entdeckt werden muss, um nicht in den Regalen den Helden(Un)tod zu sterben.


7,5 von 10 Verstößen gegen die Frauenquote


von JackoXL


Mutter und Tochter Blutsauger ruhen sich aus, dabei kenne sie soulis Meinung ja noch gar nicht


Meinung:
Nostalgische Romantiker haben es dieser Tage äußerst schwer, sich dem gravierenden Paradigmenwechsel im florierenden Vampir-Sujet anzupassen. Die vornehmen Grafen aus den nebulösen Schlössern, irgendwo im wilden Nirgendwo der karpatischen Weiten residierend, sind ein schillerndes Fragment stilvoll zerbröckelnder, aber keinesfalls gänzlich verstummender Erinnerungen. Den betörenden Untoten weht ein postmoderner Wind um die Eckzähne, jene hypnotische Erotik wird durch die unentwegt asexuelle Attitüde niedergedrückt; von der puritanischen Aufrechterhaltung tradierter Mythen im Universum der Blutsauger ganz zu schweigen: Die durstigen Wiedergänger sind nicht nur äußerlich blass, ihnen ist auch der einnehmende Glanz im Wandel der Gezeiten vollkommen abhanden gekommen. Sie schmücken vielmehr die Zimmerwände kreischender Heranwachsender oder fungieren einzig als charakterlose Bestien im nächtlichen Kolorit.


Beide sind leichenblass, aber nur er wird lieben bleiben
Sollte es also an Neil Jordon liegen, der mit seiner opulent bebilderten Vampir-Chronik „Interview mit einem Vampir“ einen Meilenstein des Kinos der 1990er Jahre geschaffen hat, die anmutig und schauderhafte Ehre mit dem gar mysteriös anklingenden „Byzantium“ zurück in das inzwischen erschreckend abgeflachte Genre zu tragen? Die Antwort darauf ist von zwiegespaltener Natur: Seine durchaus facettenreiche Theater-Adaption ist ohne Frage einer der besten modernen Vertreter seiner Zunft, zeichnet sich aber auch abermals dadurch aus, die letzte Konsequenz im Umgang mit der sublimen Vielfalt an thematischen Ansätzen vermissen zu lassen. In erster Linie aber bezieht „Byzantium“ dadurch Pluspunkte, dass er sich nicht zwanghaft im kontemporären Usus verrennt, aber gleichzeitig auch die achtungsvolle Verzahnung zum althergebrachten Standard herleiten möchte, wie ihn „Interview mit einem Vampir“ noch in voller Pracht genoss. Jordan wendet sich von traditionellen Leitlinien ab und verzichtet nicht nur auf Knoblauch, Kruzifixe und die pulverisierende Kraft der Sonne.


Eleanor auf den Spuren ihrer menschlichen Vergangenheit
„Byzantium“ geht sogar so weit, den Vampiren sich ihrer (Mord-)Instrumente, die Reißzähne, zu entledigen und die Stillung ihres Blutdurstes durch einen Fingernagel zu ermöglichen. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Mutter-Tochter-Beziehung zwischen Eleanor (Saoirse Ronan) und Clara (Gemma Arterton), die sich seit 200 Jahren durch die Welt schlagen und wahre Unikate ihres Geschlechts in einer patriarchalisch dominierten Domäne darstellen. Wer sich nun erhofft, dass Jordan den feministischen Skopus, der sich zwangsläufig aus dieser ansprechenden Konstellation ergibt, wirklich auf den Zahn fühlt und ausbaut, um diesen in emanzipatorische Bahnen zu leiten, der täuscht. Allgemein ist Jordans Ägide fortwährend ambitioniert und durchzogen von zwischenmenschlichen (Interessen-)Konflikten, die oftmals nur angeschnitten werden, anstatt diese auch entsprechend zu sezieren, gerade wenn es um Eleanors Integration in die Außenwelt geht.


Neil Jordan distanziert sich also von der Mythologie und legt seinen Fokus stringent auf das Innenleben seiner Protagonistinnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Während sich Clara nämlich als Prostituierte vertritt und den oft verloren gegangen Sex des Genres wieder lasziv an sich reißt, ist Eleanor eine für immer im Körper einer 16-jährigen Gefangenen.  „Byzantium“ erhält gerade durch die zerbrechlich-ambivalente Darstellung von Saoirse Ronan, die immer wieder zwischen Resignation und Rebellion oszilliert, eine ungemein melancholische Note, die den Vampiren selbst weit weg von seinem angsteinflößenden Vorbild führt und näher zum Habitus eines Menschen. Dazu trägt auch die historische Ebene bei, die dann passend eingestreut wird, wenn die Tragik einzelner Charakter stärker herauskristallisiert werden soll und ideologische Motivationen so verständlicher aufzeigt. Wirklich fesselnd ist „Byzantium“ aber gerade dann, wenn er die Bürde der Unsterblichkeit aufzeigt und auf donnernd-adäquate Fotografien (Blutwasserfall im irischen Geröll) findet, da verzeiht man auch gerne einige Schönheitsfehler.


6 von 10 Blutigen Metamorphosen


von souli

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