Review: SHAME – Wenn Sex zur Sucht wird



Fakten:
Shame
UK. 2011. Regie: Steve McQueen. Buch: Steve McQueen, Abi Morgan. Mit: Michael Fassbender, Carey Mulligan, James Badge Dale, Hannah Ware, Nicole Beharie u.a. Länge: 100 Minuten. FSK: Ab 16 Jahren freigegeben. Auf DVD und Blu-Ray erhältlich.


Inhalt:
Brandon ist ein New Yorker Geschäftsmann, Mitte 30, gutaussehend und er ist süchtig. Nach Sex. Nach Sex in all seinen Formen. Mal ein Quickie hier, Selbstbefriedigung dort. Pornos, Erotikhotlines, Webcams, One-Night-Stands. Er kann diese Sucht immer weniger kontrollieren und als eines Tages seine Schwester Sissy bei ihm auftaucht und sich in seiner Wohnung einquartiert, scheint Brandons Leben endgültig aus den Fugen zu geraten.




Meinung:
Sex, die schönste Nebensache der Welt? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Für die Hauptfigur Brandon jedenfalls ist diese Nebensache ins Zentrum gerückt. Sex bestimmt seinen Tagesablauf, Sex bestimmt sein Leben, Sex bestimmt ihn. Warum, das erklärt der Film nicht, lediglich eine kurze Anspielung gibt Hinweise darauf, aber die ist so allgemein wie nichtssagend. Das ist schade, wird man doch dadurch immer wieder etwas ratlos zurückgelassen. Zumindest wird aber von Beginn an klar, dass Brandon süchtig ist. Und der Film begleitet ihn, er beobachtet und dokumentiert, ohne zu werten. Relativ kalt schauen wir dem New Yorker Mitdreißiger zu, wenn er unter der Dusche masturbiert, wenn er mit irgendwelchen Frauen an irgendwelchen abgeschiedenen Orten Sex hat, wenn er sich Prostituierte kommen lässt und sie in allen erdenklichen Positionen nimmt, anders kann man das nicht sagen. Ja, wir sehen sogar, wenn er aufgrund seiner Sucht zwanghaft Frauen hinterherrennt, sie verfolgt.


Bruder und Schwester - verschieden und doch so ähnlich
Es ist eine merkwürdige Mischung aus Freiheit und Zwang, die diesen Film dominiert. Die Freiheit, all das auszuleben, was sich so mancher nicht einmal vorstellen kann, und der Zwang, das alles ausleben zu müssen, was sich so mancher lieber gar nicht vorstellen will. Aus Neugier wird Sucht, aus Sucht wird Besessenheit und eben Zwang. Dadurch stumpft Brandon zunehmend ab und ist nicht mehr in der Lage, normale Beziehungen zu pflegen. Einfache Kommunikation wird immer schwieriger. Echte Gefühle zu zeigen, wirklich etwas zu empfinden wird nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Sein Handeln, seine Gedanken – alles ist mehr und mehr nach dem schnellen Fick aus. Die Ankunft seiner depressiven Schwester aber lässt ihn aufhorchen. Er merkt, dass er ein Problem hat und Brandon will dies alles beenden, doch seine Sucht lässt ihn nicht los. Er kann nicht mehr, er will nicht mehr. Oder will er doch? Muss er doch? Sex als Droge. Sex in all seinen Formen. Er ist gefangen. Gefangen zwischen Lust und Last. Zwischen Freude und Furcht.


McQueen und sein Drehbuchpartner Abi Morgan kommen mit relativ wenigen Worten aus, stattdessen lassen sie Bilder sprechen. Und diese Bilder, eingefangen von Kameramann Sean Bobbitt, der auch für die Kamera in „The Place Beyond The Pines“ von Derek Cianfrance zuständig war, sind eine Klasse für sich. Mit großer Ruhe und Sorgfalt scheint schon die Perspektive etwas über Brendan und die anderen Figuren auszusagen. Besonders bei den Sexszenen ist die Kamera Voyeur und auch schützender Abstand in einem. Sie zeigt beinahe alles und hält doch Distanz zum Geschehen. Auch die manchmal spektakulären Schnitte bleiben im Gedächtnis hängen. Allerdings bewirkt diese Distanz auch, dass man als Zuschauer phasenweise auch zu weit weg vom Geschehen und von den Figuren bleibt und Emotionen oder ein Mitfühlen des Zuschauers nur schwer zugelassen werden.


Handarbeit ist auch hier oft Qualitätsarbeit
Nach „Hunger“ arbeitet Steve McQueen hier zum zweiten Mal mit Michael Fassbender zusammen, der den sexbesessenen Mitdreißiger Brandon spielt und der Deutsch-Ire zeigt einmal mehr, dass er zu den besten Charakterdarstellern seiner Generation gehört. Seine oft leeren und doch zwanghaften Blicke sagen dabei mehr aus als es Worte machen könnten. Er dringt so tief ins Innere der Hauptfigur vor, dass es schon manchmal beängstigend ist. Fassbender und sein Alter Ego Brandon vermischen sich, sodass man sich nicht mehr sicher sein kann, ob die Besessenheit tatsächlich nur gespielt ist. Wahrhaft herausragend. Carey Mulligan als Sissy, Brandons psychisch labile Schwester, steht Fassbender kaum in etwas nach. Besonders ihre Interpretation des Songs „New York New York“, der für den gleichnamigen Scorsese-Film geschrieben wurde und durch Frank Sinatra weltbekannt wurde, dürfte den Zuschauern nachhaltig im Gedächtnis bleiben.


„Shame“ ist ein beklemmendes Drama. Eine Charakterstudie über eine getriebene Seele, die ihre Sucht besiegen will, aber nicht davon loskommen mag. Und wir begleiten sie auf ihrem Weg durch das überwiegend nächtliche New York. Wir sind die Voyeure, die ebenfalls nicht davon loskommen, ihn zu beobachten, zu bespannen. So sind auch wir von Sex gefangen. Auch für uns wurde Sex zur Sucht. Auch wenn uns diese Sucht dabei wahrscheinlich zu wenig nahe geht, als dass wir sie komplett vertehen könnten.


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