Review: MYSTERIOUS SKIN - UNTER DIE HAUT - Als der Sommer für immer starb

                                                                                            
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Fakten:
Mysterious Skin - Unter die Haut (Mysterious Skin)
USA, 2004. Regie & Buch: Gregg Araki. Mit: Joseph Gordon-Levitt, Brady Corbet, Michelle Trachtenberg, Jeff Licon, Billy Drago, Elisabeth Shue, Billy Sage, Mary Lynn Rajskub, Chase Ellison, George Webster, Lisa Long, Chris Mulkey u.a. Länge: 101 Minuten. FSK: ab 18 Jahren freigegeben. Auf DVD erhältlich.


Story:
Im Sommer des Jahres 1981 wird das Leben zwei kleiner Jungen für immer geprägt: Brian hat ein Blackout, erwacht nach 5 Stunden mit Nasenbluten in Keller seines Elternhauses, ohne Erinnerung, was geschehen ist. Von nun an wird er von Albträumen geplagt, der eh schon schüchterne, schwächliche Knabe erleidet immer wieder Zusammenbrüche und plötzliches Nasenbluten. Neil hingegen entdeckt mit neun Jahren bereits seine Homosexualität, ohne sich ihr voll bewusst zu sein. Der Coach seiner Baseballmanschaft hat eine unglaubliche Anziehung auf den Jungen. Dazu behandelt er Neil bervorzugt, lädt ihn in sein Haus ein, dass wie aus den Träumen kleiner Kinder entsprungen scheint. Er baut eine innige Beziehung zu ihm auf...und der Coach vergeht sich an ihm. Während Neil im Laufe der Jahre eine "Karriere" als Stricher hinlegt, verfällt Brian der Idee, dass er von Außerirdischen entführt wurde. Ihr spätes Zusammentreffen nach über 10 Jahren bringt die Wahrheit ans Licht.





Meinung: 

Gregg Araki hat mit "Mysterious Skin" einen Film erschaffen, der so unglaublich schmerzvoll, grausam, aber gleichzeitig so sensibel, respektvoll und ehrlich ist, wie es in dieser Form kaum möglich ist. Er greift eines der widerlichsten, aber zeitlos-aktuellsten Themen auf, Pädophilie, den sexuellen Missbrauch an Kindern, und schildert die Folgen, die ein solcher Übergriff auf zwei Opfer hat, die diesen komplett unterschiedlich wahrnehmen und der Leben sich dementsprechend konträr entwickeln.

 

Neil hat nichts verdrängt
Da gibt es den frühreifen Neil, der erstaunlich früh seine Homosexualität erkennt, sich den Ereignissen jederzeit voll bewusst ist, sie aber sogar genießt. Er erfährt zum ersten Mal Zuneigung einer männlichen Bezugsperson, die er durch die wechselnden Partner seiner Mutter nie bekommen hat, empfindet die Übergriffe seines fürsorglichen Baseball-Coachs aber nicht als etwas schlimmes, selbst als Teenager und später als junger Mann, wenn er über seine Vergangenheit spricht, klingt es niemals nach einem Vorwurf, dem Bewusstsein, das er Opfer eines Verbrechen wurde. Dem ist er sich theoretisch natürlich bewusst, stellt es aber nie als solches dar. Ihm ist sicherlich auch klar, dass sein Leben dadurch in die heutigen Bahnen gelenkt wurde, in denen er sein Geld als Stricher verdient, aber er nimmt es so hin, wie ein vorbestimmtes Schicksal, dem er sich nicht schämt.


Da gibt es Brian, ein schwächliches Muttersöhnchen, den die Ereignisse jenes Sommer schwer traumatisiert haben. Sein Verstand hat sofort alles verdränkt, sei diesem Tag wird er von Albträumen geplagt, ist verstört und kann sich die Ursache nicht erklären. Er flüchtet sich, auf der Suche nach Erklärungen, in die Theorie, von Außerirdischen entführt worden zu sein, die Experimente an ihm durchführten. Während Neil seine Vergangenheit klar reflektiert und die Außwirkungen auf sein jetziges Ich, stolpert Brian völlig hilflos durch sein verkorkstes Leben, das von dunklen Schatten umhüllt ist, die er sich nicht erklären kann. Neil hat eine Identität, Brian ist auf der Suche nach ihr.


Die Stunde der Wahrheit tut weh
Araki schildert die beiden Entwicklungen dieser Charaktere, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Das gelingt nicht nur hervorragend und authentisch, vor allem ist es die ganze Art und Weise, wie er sich die grausamsten Momente ausspart, ohne den Zuschauer dadurch zu schonen, ihn gleichzeitig aber nicht im Elend ersaufen zu lassen. Natürlich will niemand sehen, wie sich an einem Kind sexuell vergangen wird, das zeigt er auch nicht, aber der Film im Kopf tut weh. Er zeigt die perfide Umgarnung der Jungs, wie der Täter auf seine charmant-liebevolle Art die Falle stellt und schlußendlich nur, was daraus resultiert. Im gesamten Film verübt kein Erwachsener ersichtlich Gewalt gegen ein Kind, aber es wird trotzdem kein Detail erspart. Wie das aussieht, sollte selbst erlebt werden, denn "Mysterious Skin" ist eine Ausnahmeerscheinung. Intensiv, erschreckend, zum Teil abstoßend, aber trotzdem irgendwie warmherzig, berührend, einfach nicht schwarz oder weiß. Hier gibt es keine Verharmlosung von einem abscheulichen Verbrechen, aber einen ehrlichen Umgang damit und ein Finale, das weit weg von einem verklärenden Happy-End ist, dennoch sehr rührend. Hauptfiguren, die einem ans Herz wachsen, deren Schicksale bewegen und mit denen das Mitfühlen selbstverständlich ist. Herausragend dabei ist die Leistung von Joseph Gordon-Levitt, vielleicht seine Beste.


Coming-of-Age ermordeter Seelen, ohne Kitsch, Pathos, voyeuristischem Gegeiere oder provokantem Skandal-Film Etikett. Einzigartig, traurig, furchtbar, mutig, wichtig, brillant.

10 von 10 5-Dollar-Spielen

2 Kommentare:

  1. Ich bin ja ein großer Fan von Jospeh Gordon-Levitt. Da merke ich mir diesen Film doch mal für die düsteren Filmtage...

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    1. Weise Wahl. So grandios der Film ist (gehe mit Jackos Wertung absolut d'accord), so kompromisslos und niederschmetternd ist er auch. Und ja, ich bin stolz darauf das Wort d'accord benutzt zu haben.

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