Review: DAS SCHRECKENSHAUS DES DR. RASANOFF - Nächstenliebe und Schrecken sind untrennbar


Fakten:
Das Schreckenshaus des Dr. Rasanoff aka Augen ohne Gesicht (Les yeux sans visage)
Frankreich, Italien. 1960. Regie: George Franju. Buch: Thomas Narcejac, Pierre Boilleu, Claude Sautet, Pierre Gascar, Jean Tedon (Vorlage). Mit: Pierre Brasseur, Alida Valli, Edith Scob, Juliette Mayinet, Francois Guérin, Alexandre Rignault, Béatrice Altariba u.a. Länge: 90 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich (Blu-ray nur als Import).

Story:
Christine, die Tochter des Chirurgen Dr. Génessier ist verschwunden. Als ein totes Mädchen aus einem Fluss gefischt wird, nimmt man an, es handele sich um dessen Tochter. Die Wahrheit sieht aber anders aus. Christine wird von ihrem Vater in dessen Villa festgehalten. Nach einem Autounfall, welcher ihr Gesicht entstellte, wacht Génessier über sie und hat alle Spiegel im Haus entfernt. Um die einstige Schönheit seiner Tochter wieder herzustellen, versucht er sich an Hauttransplantationen. Um an die Haut junger Frauen zu kommen schreckt er auch nicht vor Mord zurück.




Meinung:
Man darf dem deutschen Titel „Das Schreckenshaus des Dr. Rasanoff“ keinen Glauben schenken, schließlich wird dem Zuschauer dadurch fälschlicherweise suggeriert, er bekäme es mit einem klassischen Haunted-House-Grusel zu tun, noch weniger ist hier der titelgebende Dr. Rasanoff vertreten, wahrscheinlich weil der echte Name Dr. Génessier zum einen nicht schaurig genug klang, zum anderen weil sich die richtige Aussprache dieses Namens für das damalige Publikum aus Deutschland wohl nicht ganz ohne Schwierigkeiten gestaltete und nicht so locker von der Zunge rollte, wie Rasanoff. Die Alternative „Augen ohne Gesicht“ ist da schon deutlich besser gewählt, gerade weil sie nicht so derart plakativ formuliert wurde und vielmehr das Interesse weckt, anstatt die Erwartungen in eine falsche Richtung zu lenken.


Die Kernthematik ist aus wissenschaftlicher Sicht von vertrackter Modernität gezeichnet: Transplantationen. Und bei einem solchen Verfahren läuft dem unruhigen Gorehound bereits das Wasser im Munde zusammen, schließlich kann dies im Horror-Sujet eine grenzenlose Methodik sein, weitreichend bis tief in die Sphären der schwarzhumorigen Absurdität. Man muss an dieser Stelle natürlich das Produktionsjahr (1960) berüchtigten, und dennoch besitzt der Film eine mehrminütige Szene einer solchen Prozedur, die nicht nur für damalige Verhältnisse das Maß der Dinge darstellte, sondern auch heute noch anspannt und die filmhistorische Bedeutung, bis hin zur Beeinflussung von John Woos „Face/Off«, offenbart.


Blasse Christine
Tragisch ist da nur die Tatsache, dass „Augen ohne Gesicht“ überdeutlich an seinen vielfachen Nachkömmlingen nach wie vor zu leiden hat und merklich in die mehr als unverdiente Vergessenheit geraten ist. Tragisch ist das, weil „Augen ohne Gesicht“genau die Stärken vereinigt, die man als Genre-Liebhaber heutzutage unter all den plumpen Blutfontänen, abgetrennten Gliedmaßen und kiloweise Gekröse vermissen muss. An erster Stelle lebt „Augen ohne Gesicht“ nämlich von seiner erzählerischen Subtilität. Das Ziel ist hier nicht das grobschlächtige Ausbuchstabieren von Augenblicken und aufgesetzten Emotionen. Vieles hält sich bedeckt und verständigt sich gerne einzig durch Blicke und angedeutete Regungen. Daraus lässt sich dann auch problemlos ableiten, das „Augen ohne Gesicht“eben kein ambitionierter Horror/Grusel-Streifen ist oder sein will, sondern fraglos auf die psychologischen Komponenten seiner Charakter abzielt und Georges Franjus Werk ganz eindeutig zu einem unaufdringlichen, aber dennoch – oder gerade deshalb – fesselnden Familien-Drama macht.

 
Schwester, Tupfer
Die eigentliche Bedrohung strahlt dabei Dr Génessier aus, die Person, die allein aus Nächstenliebe agiert, dabei aber die Grenzen des Gesetzes (und der Moral) als fanatischer Hoffnungsbringer weitreichend überschreitet. Natürlich wird seine Aura durch die düstere Atmosphäre seiner heimischen Umgebung unterstützt, die von Eugen Schüfftan hervorragend in Szene gesetzt wurde. „Augen ohne Gesicht“ ist dabei nostalgisch im besten Sinne, ein doppeldeutiges Kunstwerk wenn man so will, über einen Vater, der seiner Tochter ein neues, unbeschwertes Dasein ermögliche möchte, selbst wenn er dafür über sämtliche Leichen geben muss und ihm unschuldige Menschen rücksichtlos zum Opfer fallen. Alles für eine unbeschwerte Zukunft ohne Masken und Geheimnissen.


Die Tragik der Situation siegt jedoch und „Augen ohne Gesicht“ wird schlussendlich zu einem Film über das innerfamiliäre Scheitern, angereichert mit einer sensiblen Grazie zwischen den Schwarz-Weißen-Zeilen, die am Ende eine mannigfache Poesie evoziert und durch die zärtliche Unschuld der aufsteigenden Tauben den vorherigen Hundeangriff beinahe vergessen macht. Wer sich also sowohl für atmosphärische und ebenso psychologisch engagierte Klassiker interessiert, der wird hier fündig und muss dazu nicht mal durch seine zentimeterdicke Staubschicht bohren, um einen Zugang zum Geschehen zu finden, denn auch die Zeit konnte „Augen ohne Gesicht“ nicht schaden.

8 von 10 Tauben im Sonnenschein

von souli

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